Joli Rouge (German Edition)
springen.
»Bringt die Granaten!«, schrie er gegen sein lebloses
Gehör an und kämpfte sich wieder auf die Beine.
Die ersten Pulverratten hatten ihren Weg auf das
feindliche Schiff gefunden und versorgten die Männer mit
Flaschengranaten und Zündeisen. Antoine ergriff eine Flasche
und wartete, bis die Männer mit ihren Äxten zurücktraten.
Dann hielt er die Zündschnur an das Eisen und warf die
Granate in die Tiefe. Die anderen Männer folgten seinem
Beispiel. Sie gingen in Deckung bevor die Flammen aus dem
Loch schlugen und jubelten. Es würde nicht lange dauern, bis
der Rauch weitere Spanier nach oben trieb. Ihre Gegenwehr
richtete nicht mehr viel gegen die Flibustier aus, die
bereits das gesamte Deck unter ihre Kontrolle gebracht
hatten. Vereinzelt fielen noch Schüsse aus versteckten
Schießscharten, aber die Bukaniere verfügten über geübte
Augen und setzten die Schützen schnell außer Gefecht.
Die Luft war erfüllt vom beißenden Gestank nach Pulver, in
das sich langsam der üble Geruch von Blut und Innereien
mischte. Antoine erhaschte einen kurzen Blick auf einen
ausgeweideten Spanier, neben dem ein verkrümmter Kamerad
lag, der seinen Mund zu einem stummen Schrei geöffnet hatte.
Hellrote Flüssigkeit sprudelte zwischen seinen Zähnen
hindurch und benetzte die Planken. L’Olonnais hatte ihm die
Zunge herausgeschnitten. Antoine sah den Kapitän mit
aufgerissenen Augen nach seinem nächsten Opfer greifen. Er
gab den Männern ein Zeichen, die Luken zu beobachten, die
die Verschanzten bald würden öffnen müssen, um aus ihrem
tödlichen Gefängnis unter Deck zu entkommen, und eilte zu
L’Olonnais.
Das Schreien der Gefolterten durchdrang Antoines taube
Ohren, während er den Dunst durchschritt, der sich über das
Kampfgeschehen gelegt hatte. Es waren unmenschliche Laute,
getrieben von Furcht und Schmerz, teils Flehen, teils Fluch,
die sich grauenvoll in die erschlafften Segel erhoben.
Antoine biss die Zähne aufeinander, um sich auf ihren
Anblick vorzubereiten. Zuerst sah er L’Olonnais, der wie ein
Dämon zwischen den windenden Leibern stand, sich das Blut
seiner Opfer ins Gesicht rieb und mit weitaufgerissenen
Augen das Leiden um sich herum verfolgte. Das Deck war
glitschig, der Atem des Todes allgegenwärtig. Er bemühte
sich, nicht auf die Verwundeten zu blicken, als er
L’Olonnais gegenübertrat.
»Antoine, mein Racheengel«, wisperte L’Olonnais mit
starren Gesichtszügen. »Ich habe dir Opfer gebracht.«
Antoine salutierte. »Das Schiff ist eingenommen, Kapitän.
Der Großteil der Mannschaft verbirgt sich noch. Wir räuchern
sie aus. Wie gedenkt Ihr, weiter vorzugehen?«
»So förmlich?« L’Olonnais streichelte seine Wange, und
Antoine spürte klebrige Feuchtigkeit auf seiner Haut. Er
zwang sich, nicht zurückzuweichen.
»Ich gedenke«, L’Olonnais betonte jedes Wort, »dieses
Schiff mit dem Saft elender Spanier zu weihen, bevor ich es
dir überlasse!«
»Mir liegt nicht in gleichem Maß an spanischem Blut wie
dir.« Eine Hand packte Antoines Fuß. Er starrte auf den
flehenden Offizier herab, dessen Jacke zerschnitten war und
aus dessen Bauchwunde glänzende Organe hervorquollen.
»Es ist mein Geschenk für dich.« L’Olonnais‘ Stimme
veränderte sich und Antoine glaubte, einen bedrohlichen
Unterton auszumachen.
»Verzeih, ich will nicht undankbar erscheinen, aber dieses
Schiff ist deiner mehr würdig als mir. Bedenke, welch
Ansehen es dir schenken wird, wenn du es in den Überfall
gegen Maracaibo führst.«
Der Olonnaise legte den Kopf schief. »Eine wunderbare
Idee.“ Er kratzte sich den Bart, bevor er einem wimmernden
Spanier den Stiefel in den Bauch stieß. Dessen Aufschrei
erstickte er mit einem gezielten Dolchstoß. »
Va au diable
!«
Er spuckte aus. Dann sah er Antoine an und sagte:
»Abgemacht! Du erhältst die
La Poudrière
. Ich habe deinen
Wunsch erhört.«
Antoine deutete eine Verbeugung an. »Wie lauten deine
weiteren Befehle? Moïse Vauquelin und die übrigen Kapitäne
warten bis morgen auf der Insel Saona. Eines unserer Schiffe
sollte bis Sonnenuntergang dort eintreffen, um ihnen Bericht
zu erstatten.«
L’Olonnais verzog wütend den Mund. »Ich mache dich zum
Kapitän, und du hast nichts anderes im Sinn?«
»D’Ogeron wird es gut heißen, dass du bereits zu Beginn
der Mission derart siegreich warst.«
L’Olonnais lächelte wachsam. »Belehrst du mich?«
Antoine schwieg, und
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