Joli Rouge (German Edition)
besseren Blick auf die Mannschaft
der
La Poudrière
zu erhaschen. Einige Männer schleppten sich
verletzt an Land. Ihre Gesichter wirkten fahl im unsteten
Schein der Fackeln, und blutige Verbände zierten ihre
Körper. Gestützt von ihren Kameraden hielten sie auf die
ersehnten Feuer zu, und bald drang barbarisches Gelächter an
Pierres Ohren, als sie ihre Geschichten zum Besten gaben.
Sehnsüchtig starrte er auf die Wellen, bis er endlich
Antoines Gestalt ausmachte, die energisch auf den Strand
zuhielt. Er hielt den Atem an.
»Antoine Du Puits«, begrüßte ihn Moïse Vauquelin
zurückhaltend. »Wo ist der Kapitän der
La Poudrière
?«
»Steht vor Euch,
monsieur
!« Antoine baute sich vor ihm
auf, und Pierre unterdrückte ein Lächeln. Gemurmel erhob
sich.
»Wenn Ihr nun Kapitän dieses Schiffes seid, wo befindet
sich Kapitän L’Olonnais? Klärt uns über den Überfall auf!«
Moïse Vauquelin verschränkte die Hände vor der Brust.
Antoine verzog keine Miene. »Wir jagten den Spanier etwa
drei Stunden, bis wir nahe genug zum Entern waren. Der
Händler ging rasch in Deckung. Es war ein einfacher Kampf,
monsieur
. Eine Handvoll Verwunderter und acht Tote auf
unserer Seite. Das Schiff war mit sechzehn Kanonen bestückt
und hatte den Bauch voll mit Kakao, mehreren tausend
gemünzten Achterstücken und Juwelen. Für diese Prise hätte
es sich zu kämpfen gelohnt! L’Olonnais überließ mir die
La
Poudrière
und schickt mich, um Euch mitzuteilen, dass er
nach Cayone segelt, um die Ladung zu löschen und frische
Männer an Bord zu holen. Er wird die Fahrt nach Maracaibo
mit dem neuen Schiff anführen.«
Die Kapitäne sahen einander an. Jan Willems lachte. »Ist
es möglich, dass der Olonnaise zum ersten Mal mit einer
beachtlichen Prise in Cayone einläuft?«, spottete er. Die
Männer grinsten.
»Was ist mit der spanischen Mannschaft geschehen?«, fragte
der Baske.
»Getötet«, erwiderte Antoine.
»Alle?«
»Aye! Alle fünfzig Mann.«
Die Kapitäne schwiegen. Sie wussten, welch bestialischen
Tod die Besatzung hatte erleiden müssen.
»Er verlangt, dass wir hier auf ihn warten?«, fragte Moïse
Vauquelin.
»Aye«, bestätigte Antoine mit festem Blick.
»Wer sagt, dass er zurückkehrt und nicht erneut einem
spanischen Händler nachsetzt, um Blutgeld zu machen?«
»Ich sage Euch das,
monsieur
!« Antoine stemmte
entschlossen die Hände in die Hüften.
Moïse Vauquelin presste die Lippen aufeinander. »Ich bin
mir nicht sicher, was Euer Wort wert ist, Kapitän Du Puits.
Gouverneur D’Ogeron liegt viel an dieser Kaperfahrt.«
»Gouverneur D’Ogeron liegt gewiss auch viel an der Prise,
die ihn in den nächsten Tagen erreicht. Und der Angriff auf
Maracaibo ist mit acht Schiffen Erfolg versprechender als
mit sieben. Seht Ihr das nicht ebenso?«
Moïse Vauquelin neigte den Kopf zur Seite. »Ihr seid ein
Mann mit konkreten Vorstellungen. Verbürgt Ihr Euch für den
Olonnaisen?«
Antoine starrte ihn an. »Ich handle nach dem Kodex. Die
Brüder haben sich gegenseitig zu achten und sollen sich
jederzeit zur Seite zu stehen. Ich habe L’Olonnais‘ Wort. Er
kehrt zurück.«
Michel Le Basque lachte. »Es fällt in meinen Bereich, die
Brüder über den Kodex zu belehren, Kapitän Du Puits! Aber es
ist beruhigend zu hören, dass ein Mann Eurer Ideale für
L’Olonnais eintritt.« Er tauschte einen Blick mit Moïse
Vauquelin. »Wir warten zehn Tage. Trifft er nicht ein,
segeln wir mit sieben Schiffen gen Maracaibo.«
Antoine nickte. »Aye, Kapitän Le Basque. Ihr Wort gegen
meins.« Sie fixierten sich kurz, bevor sich die Kapitäne
zerstreuten.
Pierre blieb zurück. Wie in Trance starrte er auf Antoine,
der sich mit dem Rest seiner Männer zu den Feuern begab. Zu
spät bemerkte er Remis‘ forschenden Blick und wandte sich
ab. Sollte nur ein einziger Mann Wind davon bekommen, wer
Antoine Du Puits in Wirklichkeit war, würde die Hölle
losbrechen. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein. In
seinem Kopf begannen sich die Einzelteile jener
verhängnisvollen Nacht zusammenzusetzen, die Jacquotte eine
Entscheidung hatten treffen lassen, die ihre Feinde
verstummen ließ und ihr ein Leben in der Bruderschaft
ermöglichte. Die Kreatur, die aus ihr geworden war,
verabscheute er, aber dass sie es nun geschafft hatte,
Kapitän eines Schiffes zu werden, freute ihn. Ein Lächeln
schlich sich auf sein Gesicht.
Kapitel 10
Laguna de Maracaibo, Sommer
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