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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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Gedankenversunken
begegnete er einem dunklen Augenpaar, das er zu kennen
glaubte. Er zwinkerte, drehte sich um, konnte in der
Menschenmenge aber niemanden ausmachen. Kopfschüttelnd ging
er weiter.
    Jacquotte drückte sich derweil zwischen die Anwesenden.
Jan versuchte, sie abzuschirmen, was ihm aber aufgrund
seiner geringen Körpergröße schlicht unmöglich war.
    »Er is‘ weg«, flüsterte er. »Der englische Furz hat sich
davon gemacht. Tête-de-Mort wird ihn im Auge behalten!«
    Jacquotte linste zum Ausgang, aber die Männer drängten
sich bereits wieder zusammen und versperrten ihr die Sicht.
    »Was hat Tête-de-Mort mit De l’Isle zu schaffen?«, wollte
sie wissen.
    »Er hat seine Gründe.« Jan sah sie verschwörerisch an.
»Die hat er immer.«
    Jacquotte glaubte ihm aufs Wort. Tête-de-Mort kam ihr vor,
als sei er der Unterwelt entstiegen. Sie ging ihm aus dem
Weg, auch wenn sie nicht behaupten konnte, dass er ein
unangenehmer Zeitgenosse war. Was immer er vorhatte, er
würde sich nicht einmal vom Teufel selbst davon abbringen
lassen.
    »Das heißt, ich komme mit euch?«, fragte sie aufgeregt.
»Ich darf mit nach San Jago Caballero?«
    »Aye!« Jan lachte. »Aber zuerst musst du der Bruderschaft
beitreten, so wie du’s vorhattest.« Er reckte den Hals, war
aber zu klein, um etwas zu sehen und stampfte ärgerlich mit
dem Fuß auf.
    Jacquotte verspürte mit einem Mal Nervosität. Bisher hatte
sie sich aus vielerlei Gründen vor der Initiation gedrückt,
obwohl sie bereits seit zwei Monaten in Port de Margot
ausharrte. So erschreckend ihr die Stadt zu Anfang
vorgekommen war, so heimisch fühlte sie sich inzwischen in
ihr. Die Männer aus der Mannschaft von Tête-de-Mort
behandelten sie freundlich, nahmen sie mit auf die Jagd,
zechten mit ihr und gaben ihr ein Gefühl von Zugehörigkeit,
das sie belebte wie ein Bad an einem heißen Tag. Nach dem
letzten Überfall auf ein spanisches Handelsschiff hatten sie
es nicht eilig, in See zu stechen und verprassten ihre Beute
in glückseligem Müßiggang, der Jacquotte Zeit gab, ihren
Platz unter ihnen zu finden. Durch ihre hitzige Art
erkämpfte sie sich Respekt und lernte rasch, wem man
vertrauen konnte und wem man besser aus dem Weg ging. Mit
einigen Golddublonen ihres Vaters hatte sie sich Waffen
besorgt, die nun aufsehenerregend an ihrem Gürtel baumelten
und viele Männer davon abhielten, sich ihr zu nähern.
    Tête-de-Mort wachte wie ein unsichtbarer Geist über alle,
und nur Jan schien stets zu wissen, wo ihr Kapitän zu finden
war. Er lebte zurückgezogen und Jacquotte war froh, seine
Anwesenheit nicht täglich ertragen zu müssen. Ebenso wenig
wie die von Pierre, der es kaum hatte erwarten können, nach
ihrem Streit die Segel zu setzen. Er hatte noch die Ankunft
von Jérémie Deschamps abgewartet, war aber sofort nach
dessen Aufbruch mit unbekanntem Ziel entflohen. Vermutlich
würde sie ihn so bald nicht wiedersehen und bemühte sich,
keine Gedanken an ihn zu verschwenden. Doch manchmal in den
langen Nächten, wenn die Stadt nicht schlafen wollte und sie
alleine in der Dunkelheit lag, drängten die Erinnerungen
heran. Wochenlang hatte sie gebangt, Jérôme könnte
auftauchen und ihr Vorhaben zunichtemachen. Aber er blieb
aus und mit ihm die Kunde, ob es Manuel gut ging. Sie hatte
einige Zeit versucht, ihre vielschichtigen Gefühle mit Rum
hinunterzuspülen. Aber der tückische Alkohol schwemmte sie
umso heftiger wieder an die Oberfläche, so dass Jacquotte
zwischenzeitlich vorsichtiger mit dem goldbraunen Fusel
umging, den die Männer hier bereits zum Frühstück genossen.
    Michel Le Basque trat in die Mitte des Kreises, und
Jacquotte richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn.
    »Tretet vor, ihr tapferen Männer, die ihr es wagt, Brüder
der Küste zu werden! Schwört auf den Kodex und reiht euch
ein in die Geschichte all jener, die durch ihren Mut und
ihren Glauben die Stärke unserer Gemeinschaft geformt haben.
Unter der Sicherheit der Bruderschaft werdet ihr allzeit mit
Stolz auf den Weiten des Meeres segeln und euch gewiss sein,
dass ihr im Kampf gegen die Spanier stets für all das
kämpft, was ihr im Herzen tragt und auf das ihr am heutigen
Tag geschworen habt:
La coutume de la côte

    Jan gab ihr einen aufmunternden Schubs, und sie bahnte
sich ihren Weg durch die eng beisammenstehenden Brüder. Fast
zeitgleich mit ihr trafen noch fünf weitere Gesellen ein und
blieben verunsichert stehen.

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