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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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Zu legendär war der Ruf von
Michel Le Basque, zu imposant sein Körperbau. Ihm
gegenüberzustehen, gab einem das Gefühl, klein und nichtig
zu sein, selbst wenn man sich nicht zu verstecken brauchte.
Jacquotte musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm
aufzuschauen. Ihr Vater hatte ihn nie derartig beschrieben.
Dabei hatte sie die Geschichten über ihn geliebt. Niemals
hätte sie zu hoffen gewagt, diesem Mann eines Tages zu
begegnen. Mit klopfendem Herzen wartete sie auf die
bevorstehende Initiation, die sie endlich zu einem Mitglied
der Bruderschaft machen sollte. Ihr Plan, der sie ein
bitteres Opfer hatte bringen lassen, war im Begriff
aufzugehen. Jacquotte konnte es kaum glauben. Was würde
Pierre sagen, wenn er sie jetzt sehen könnte?
    Sie blickte erwartungsvoll in die Gesichter der Männer,
aber das einzig ersehnte war nicht darunter. Rasch rief sie
sich zur Ruhe und lauschte aufmerksam den Worten des Basken,
der die Regeln der Bruderschaft verlas: »Hört die Artikel
des Kodex und seid euch bewusst, dass Verstöße, die mir zu
Ohren kommen, entsprechend bestraft werden.«
    Er schritt an den sechs vor ihm aufgereihten Burschen
vorbei und entrollte ein verblichenes Schriftstück mit
bräunlichen Rändern. Jacquotte betrachtete die
unverständlichen Zeichen und fragte sich, ob Michel Le
Basque den Kodex eigenhändig niedergeschrieben hatte.
Niemand, den sie bisher gekannt hatte, war des Schreibens
oder Lesens mächtig gewesen.
    »Wiederholt, was ich euch sage«, brummte der Baske und
begann: »Die Brüder haben sich gegenseitig zu achten und
sollen sich jederzeit zur Seite zu stehen. Die Befehle des
Kapitäns sind allzeit zu befolgen.«
    Jacquotte und die anderen wiederholten seine Worte in
gedämpftem Tonfall.
    »Jedem Bruder gebührt Stimmrecht in allen Angelegenheiten
und freier Zugang zu jeglichen Nahrungsmitteln und Alkohol,
es sei denn, es besteht die Notwendigkeit einer Kürzung zum
Wohle der Gemeinschaft!«
    Erneut wurde der Artikel von den Burschen wiedergegeben.
Und so ging es fort.
    »Jedem Bruder steht sein vereinbarter Anteil der
chasse-partie
zu, die vor Auslaufen festgesetzt wird. Aber:
keine Prise, keine Bezahlung! Was nicht geteilt werden kann,
wird innerhalb der Mannschaft erwürfelt. Jegliche Beute, die
dem Steuermann nicht innerhalb eines Tages ausgehändigt
wird, ist ergaunert. Dies wird bestraft. Die Strafe setzt
der Kapitän gemeinsam mit der Mannschaft fest.«
    »Verletzungen müssen in Münzen oder Sklaven abgegolten
werden!«
    »Keine Auseinandersetzungen unter Brüdern an Bord eines
Schiffes! Kämpfe unter Brüdern dürfen nur an Land
stattfinden und nicht zum Tode führen. Verlierer ist der,
dessen Blut zuerst fließt.«
    »Frauen, Indianer und Mohren ist der Zugang zur
Bruderschaft verwehrt! Wer heimlich Frauen an Bord bringt,
ist des Todes. Den Tod findet ebenso, wer seine Brüder im
Gefecht im Stich lässt, konspirative Sache mit dem Feind
macht, einen Bruder absichtlich bestiehlt oder in den Tod
schickt.«
    Jacquotte schluckte und sah zu Boden. Der erste Teil
dieses Artikels kam ihr nur widerwillig über die Lippen.
Dennoch wiederholte sie jedes Wort und atmete tief durch,
als Michel Le Basque das Schriftstück wieder aufrollte.
    »Als Brüdern der Küste ist es euch überlassen, welchen
Tätigkeiten ihr nachgehen wollt«, fuhr der Baske fort. »Die
Pflanzer und Bukaniere sorgen durch Anbau und Jagd für den
wichtigen Nachschub an Nahrung und Handelsware, während sich
die Flibustier den Gefahren des Meeres aussetzen und sich
Nahrung und Handelsware erbeuten. Ein jeder soll nach seiner
façon
leben. Dennoch, Tod und Verstümmelung treffen selbst
die Tapfersten. Seid euch bewusst, dass jeder eurer Atemzüge
auch euer letzter sein könnte und wählt euch einen
Gefolgsbruder zur Seite, der für euch sorgt, wenn ihr dazu
nicht mehr in der Lage seid. Selbiges schwört ihr auch ihm.
Jegliche Last trägt sich zu zweit leichter.
Hoy por mi,
mañana por ti
, wie unsere Feinde zu sagen pflegen.«
    Michel Le Basque blieb vor einem der Burschen stehen.
    »Wie ist Euer Name?«, fragte er.
    »Man nennt mich Clostrée, großer Baske.«
    »Ihr wisst, dass es von Vorteil ist, einen Namen zu
wählen, der nicht auf Eure wahre Identität schließen lässt?«
    »Aye, großer Baske, das ist mir bewusst.«
    »So sei es, Clostrée. Wen wählt Ihr zu Eurem
Gefolgsbruder?«
    »Tape-Cul hier zu meiner Linken.« Der Bursche deutete auf
einen

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