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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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zusammengehalten wurde. Seine gebogene Nase verlieh ihm das
Aussehen eines Greifvogels, und die nach unten gezwirbelten
Spitzen seines Barts folgten den tiefen Linien der
herabhängenden Mundwinkel. Feine Augenbrauen betonten die
unnatürlich langen Wimpern, die, ebenso wie seine ebenmäßige
Haut, manche Frau hätten vor Neid erblassen lassen. Selbst
seine Hände waren zart wie die einer Dame. Einzig seine
tiefbraune Gesichtsfarbe unter den gebleichten Haaren, die
ihm ölig auf die Schultern herabhingen, ließ vermuten, dass
er auf dem Meer zuhause war und nicht in einem öffentlichen
Amt stand. Pierre misstraute ihm. Es gab keinen
ersichtlichen Grund, aber er verspürte Abneigung.
    Der Fremde beugte sich vor und fixierte ihn. »Segelt Ihr
für Gouverneur D’Oyley?« Seine Stimme war unnatürlich hoch
für einen Mann. »Dafür, dass Ihr ihm keinen Anteil schuldet,
weilt Ihr überaus oft in dieser Stadt.«
    »Ich wüsste nicht, was es Euch angeht.« Pierre gab dem
Wirt ein Zeichen. Seine Kehle war ausgedörrt.
    »Als Bruder der Küste solltet Ihr Eure Aufmerksamkeit
denen zollen, denen Ihr verbunden seid. Euer Schiff lag
bereits lange Zeit nicht mehr im Hafen von Cayone.«
    Pierre musterte ihn abschätzend. Wer war dieser Kerl, dass
er es wagte, derart anmaßend zu sein?
    »Hält sich die Bruderschaft neuerdings Spione?«, fragte
er.
    L’Olonnais kräuselte die Lippen. »Es liegt mir nicht
daran, Euch zu verstimmen, Pierre Hantot. Vielmehr will ich
Euch für die Bruderschaft zurückgewinnen. Die
Machtverhältnisse sind dabei, sich zu verändern. Ich dachte
mir, Ihr wollt unter Umständen Anteil daran nehmen.«
    Pierre missfiel die Vertrautheit, mit der L’Olonnais
seinen Namen aussprach, und er kippte den beigebrachten Rum
hinunter, bevor der Wirt ihn auf den Tisch stellen konnte.
    »Sprecht gefälligst direkt«, murrte er. »Es geht Euch
nicht um mein Wohl und das meiner Mannschaft. Was ist der
wahre Grund für Euren überraschenden Besuch?«
    L’Olonnais kräuselte die Lippen. »Ihr begreift schnell.
Ich weiß das zu schätzen! Ihr wisst um das Verhältnis
zwischen D’Oyley und Jérémie Deschamps?«
    Pierre nickte. »Deschamps gab vor, ein Bündnis mit D’Oyley
einzugehen, hatte jedoch bereits die Zusage des Königs von
Frankreich, die Île de la Tortue unter die
drapeau tricolore
zu bringen. Als Deschamps begann, Kaperbriefe auszustellen,
fürchtete D’Oyley, er könne für die verübten Taten zur
Rechenschaft gezogen werden, denn Tortue befand sich zu
diesem Zeitpunkt noch unter der Vorherrschaft Jamaikas.
Gleichzeitig war der Friedensvertrag zwischen England und
Spanien aber längst unterzeichnet. Als er Deschamps rügte,
verkündete dieser offiziell die Anweisungen von Louis XIV.
und hisste die französische Flagge. D’Oyley hatte aufgrund
der veränderten, politischen Lage in England noch keine
beglaubigte Machtbefugnis durch Charles II. erhalten, womit
ihm die Hände gebunden waren. Er schickte eine inoffizielle
Gesandtschaft nach Tortue, um Deschamps verhaften und nach
Jamaika bringen zu lassen. Die Mission scheiterte. Seitdem
steht es um das Verhältnis zwischen Port Royal und Cayone
nicht zum Besten.«
    L’Olonnais klatschte übertrieben. »
Chapeau
«, erwiderte er.
»Man sagte mir, der Alkohol hätte Euch den Verstand
vernebelt, aber Ihr seid wacher, als ich dachte.«
    »Und wehrhafter, als Ihr vermutet«, fügte Pierre hinzu.
»Haltet Euch mit Eurer Meinung über mich zurück, oder Ihr
werdet nie bekommen, was Ihr von mir beansprucht. Was immer
es ist.«
    L’Olonnais neigte den Kopf. »Ich suche Verbündete. Keine
Feinde«, beschwichtigte er und fuhr in ruhigem Tonfall fort:
»Unglücklicherweise zwang sein Gesundheitszustand Jérémie
Deschamps dazu, nach Frankreich zurückzukehren. Die
Geschicke von Tortue lenkt derzeit sein Neffe, Frédéric
Deschamps de la Place. Er ist ein ambitionierter, junger
Mann, wenngleich er nicht über dieselben politischen
Beziehungen verfügt wie sein Onkel. Dennoch, er denkt im
Sinne Frankreichs und scharrt gemeinsam mit Michel Le Basque
die großen Kapitäne der Bruderschaft um sich, um sich ihrer
zu versichern.«
    Pierre schwieg. Noch immer war ihm nicht klar, was
L’Olonnais von ihm erwartete. Er verschränkte abwartend die
Arme vor der Brust. Der Olonnaise belauerte ihn. Der Lärm
der zechenden Menschen um sie herum schwoll an. Der
einsetzende Regen spülte alle von den lehmigen Straßen in

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