Joli Rouge (German Edition)
nicht, Gewalt gegen dich anzuwenden«, drohte
er.
Angewidert sah sie ihn an. »Ihr würdet mich angreifen,
obwohl ich unbewaffnet bin?«
Michel Le Basque lächelte. »Es wäre mir eine Freude.«
Jacquotte ließ sich zurück in den Stuhl fallen, und der
Baske fuhr fort: »Ich habe Reichtümer, und ich habe genug
von der Welt gesehen. Jérémie Deschamps bot mir den Posten
des Majors auf der Île de la Tortue an. Ich werde diesen
annehmen und dich als mein Eheweib dorthin mitnehmen. Dies
sichert dir freies Geleit zu, wo immer du dich befindest,
und den angesehenen Namen der Bruderschaft. Du empfängst
keine Strafe und sitzt in der ersten Reihe, wenn ich Recht
spreche. Wenn du dich angemessen verhältst, dann sichere ich
dir sogar ein Mitspracherecht zu. Das ist mehr, als sich
jede andere Frau in diesem Teil der Welt erhoffen kann.« Er
beugte sich zu ihr hinunter. »Was sagst du dazu?«
Jacquotte warf sich intuitiv gegen die schwere Lehne des
Stuhls und brachte ihn damit zum Kippen. Der Aufprall
schmerzte, aber sie wusste ihn abzufedern. Mit einer
geschickten Drehung rollte sie rückwärts und stand kurz
darauf wieder auf den Füßen.
»Niemals!« Rasch zog sie das Messer aus dem Stiefel.
Michel Le Basque blinzelte verwirrt.
»Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl«, brüllte er, als
er sich wieder fing und hinter ihr hersetzte.
»Ich werde niemals einen Mann heiraten, der über mich
befiehlt«, schmetterte Jacquotte ihm entgegen. »Genauso
wenig wie ich jemals einen Mann heiraten werde, über den ich
zu befehlen vermag.«
Sie versuchte, durch die Türöffnung zu entkommen, aber der
Baske griff eine zusammengerollte Peitsche, die an der Wand
hing, und holte geübt aus. Mit einem Schnalzen legte sich
das Ende schmerzvoll um Jacquottes Handgelenk. Sie wehrte
sich, aber Michel Le Basque zerrte sie grob zu sich heran,
bevor er ihr das Messer aus der Hand zwang.
»Sind das deine letzten Worte?«, flüsterte er so nah an
ihrem Ohr, dass sie seinen sauren Atem riechen konnte.
»Und ob sie das sind«, spie sie ihm entgegen.
Er schlug ihr ins Gesicht. »Dann ist dein Schicksal
besiegelt«, flüsterte er und schleifte sie an den Haaren
hinter sich her.
Kapitel 6
Port Royal, Jamaika, Frühling 1662
Pierre hob die ballonförmige Flasche vor sein Gesicht und
beobachtete das Ende der Auktion durch das dunkle Glas
hindurch. Die Kerze war fast erloschen, und wenn er seine
Hand nicht hob, bevor die Flamme ausging, war er nicht der
Höchstbietende für die zum Verkauf stehende Fregatte. Die
Engländer praktizierten gerne diese Art des Handels, den sie
sale by inch of candle
nannten. Er rülpste. Das fahle
Sonnenlicht, das durch das offene Fenster schräg auf die
leere Flasche fiel, warf zuckende Strahlen auf das Gesicht
des Auktionators. Pierre grinste. Wenn er es recht bedachte,
wollte er das Schiff ohnehin nicht. Er hatte sich nur zu der
Versteigerung eingefunden, weil ihm ansonsten nichts
Besseres eingefallen war, was er mit dem Tag hätte anstellen
können. Mühsam erhob er sich mit den anderen von den
aufgestellten Bänken. Die Kerze war abgebrannt, das letzte
Gebot bekam somit den Zuschlag und die Auktion war vorüber.
Die Männer begannen, sich zu zerstreuen.
Gähnend trat Pierre auf die belebte Straße. Das Viertel
der Warenlager und Vorratsspeicher lag im nördlichen Teil
der Stadt, direkt am weitläufigen Hafen, wo die
Handelsschiffe ihre Ladung löschten. Er konnte kaum glauben,
mit welch enormer Entschlossenheit sich die einstige
Ansiedlung Point Cagway zum gegenwärtigen Port Royal
gewandelt hatte. Er schätzte, dass sich die Anzahl der
Häuser in den letzten zwei Jahren verdreifacht haben musste.
Jeden Tag strömten mehr Marketender herbei und eröffneten
neue Läden. Es konnte passieren, dass man wenige Tage fort
war und das Gesicht der Stadt bei der Rückkehr nicht
wiedererkannte.Pierre mochte diese Kurzweil. Sie hielt ihn
davon ab, seinen Gedanken nachzuhängen.
Gemächlich schlenderte er in Richtung High Street und ließ
die Ansammlung der schmalen Häuser an sich vorüberziehen.
Die meisten waren zweistöckig und teilweise aus massiven
Backsteinen erbaut, deren Nachschub jedoch zu wünschen übrig
ließ. Die zahlreichen Handelsschiffe orderten Ziegel als
Ballast, die sie zur Stabilität benötigten, wenn sie mit
leichter Fracht segelten. Daher wirkten die neuerbauten
Häuser in Port Royal wie einzelne Achterstücke, deren Teile
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