Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
versucht, ein normales Leben zu führen. Wir wollten eine Familie gründen. Und dann kamst du. Unser Sohn.«
»Wer seid ihr wirklich?«, fragte Jonathan mit klopfendem Herzen.
Er konnte sehen, wie seine Mutter blass wurde. Cornelius schwieg.
Jonathan hatte keine Lust auf ein Katz-und-Maus-Spiel. »Könnt ihr vielleicht mal damit aufhören, um den heißen Brei herumzureden? Ich bin kein Baby mehr.«
»Du wirst alles erfahren. Schritt für Schritt«, sagte Cornelius.
»Dieses Wissen bedeutet große Verantwortung. Und ein Leben in Gefahr«, fügte Helena rasch hinzu. »Wir wollten dich einweihen, wenn du bereit dafür bist.«
»Und wann soll das sein? Wenn ich hundert bin? Ich bin alt genug!«, rief Jonathan.
»Das ist nicht nur eine Frage des Alters. Wir wollten, dass du die Wahl hast, selbst zu entscheiden, welches Leben du führen willst.«
Jonathan beschloss, die Karten auf den Tisch zu legen. »Ich war dort. Gestern Nacht. Ich habe gesehen, dass ihr das Messer benutzt habt. Und dass ihr mit Aurora gesprochen habt.«
Eine lautlose Bombe explodierte, und das Entsetzen grub tiefe Furchen in die Gesichter seiner Eltern. Seine Mutter ging auf ihn zu und nahm sein Gesicht in ihre Hände.
»Warum hast du das getan? Oh, Jonathan …«
Cornelius’ Stimme schwankte zwischen Wut und Enttäuschung. »Du hast uns hinterherspioniert? Das ist großartig. Wirklich großartig!«
»Was hättet ihr an meiner Stelle getan? Ihr habt mich belogen, seit meiner Geburt«, gab er wütend zurück.
»Du hättest mit uns reden sollen, bevor du uns quer durch die Stadt verfolgst.«
»Das habe ich versucht. Außerdem habt ihr mich nicht bemerkt, und Aurora auch nicht.«
»Natürlich hat sie dich bemerkt«, widersprach Helena leise. »Sie ist eine Sehende. Sie spürt deine Präsenz, wenn du ihr nahe genug bist.«
Das Blut versickerte in Jonathans Magen, als ihm bewusst wurde, was das bedeutete. Er hatte sich also nicht getäuscht: Auroras Blick durch das Feuer hatte ihm gegolten!
»Und wennschon«, gab er trotzig zurück. »Sie wusste vorher schon von mir. Und es ändert auch nichts.«
Cornelius musste sich setzen. Plötzlich wirkte er trotz seiner hünenhaften Statur winzig. »Wir wollten dich aus alldem heraushalten. Wir wollten, dass du ein normales Leben führen kannst. Ein Leben ohne Angst.«
Jonathan konnte es nicht fassen. Glaubten seine Eltern ernsthaft, dass Unwissenheit ein Schutz war? Hatten sie so wenig Vertrauen in seine Fähigkeiten? Hielten sie ihn für so schwach?
»Ihr hättet es mir sagen müssen!«, rief er. »Ihr hättet mir die Entscheidung überlassen müssen!«
»Du hast keine Ahnung, was hier gespielt wird!«, rief Cornelius zornig, um die Stimme gleich darauf wieder zu senken, als ob er fürchtete, belauscht zu werden. »Wir sind nur wenige, aber wir haben mächtige Feinde. Etwas – jemand – ist auf der Jagd nach uns.«
»Der Weltenwanderer«, sagte Jonathan.
»So nennen wir ihn, ja. Er hat noch viele andere Namen. Für die meisten ist er nur ein freundliches Gesicht, ein netter Nachbar oder ein harmloser Spaziergänger. Aber seine menschliche Gestalt ist nichts weiter als eine Maske. Dahinter versteckt sich ein Wesen, das heimtückischer ist als alles, was du dir vorstellen kannst. Es ist die Essenz der Finsternis in unseren Herzen. All die Jahre haben wir uns vor ihm versteckt. Wir haben dich vor ihm versteckt. Jetzt weiß es, dass du existierst. Ich kann nur hoffen, dass es keine Gefahr in dir sieht.«
Ein Schauer jagte über Jonathans Rücken. »In mir? Warum sollte ich gefährlich für ihn … für es sein?«
Helena warf Cornelius einen warnenden Blick zu, und so presste er die Lippen zusammen und schwieg. Jonathan wurde wütend.
»Ich will jetzt endlich die Wahrheit wissen!«
»Das muss warten!« Cornelius ballte die Hände zu Fäusten und nickte Helena entschlossen zu. Sie verstand und straffte sich.
»Ich gehe nach oben und packe die Koffer«, sagte sie.
»Nur das Nötigste! Nimm warme Kleidung mit. Und die Reiseapotheke. Ich suche die Papiere.«
»Schatz, vergiss bitte den Computer nicht. Und unsere persönlichen Sachen. Beim letzten Mal haben wir die Fotoalben liegen lassen, die Bilder von meinen Eltern. Ich will nicht, dass auch noch Jonathans Babyfotos verloren gehen!«
Beim letzten Mal? Sie waren also schon einmal geflohen. Vielleicht schon viele Male. Cornelius nahm Helena in die Arme und hielt sie fest.
»Egal, was passiert, ich werde nicht zulassen, dass sie unsere
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