Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Selbst jetzt, als sie einfach nur dasaß und ins Feuer starrte, ging eine Aura der Bedrohung von ihr aus.
»Kommt nur näher«, sagte sie zu seinen Eltern. »Habt keine Scheu vor meinen stinkenden Freunden. Sie können euch weder sehen noch hören.«
Cornelius trat vor. »Wir haben deine Botschaft bekommen, Aurora.«
Sie lächelte. »Gewiss. Sonst wärt ihr nicht hier, nicht wahr?«
Aurora. Ihr Name klang fremd und doch seltsam vertraut für Jonathan. Dann fiel ihm ein, dass er in der Schule von ihr gehört hatte: Aurora war die Göttin der Morgenröte, eine Gestalt der römischen Mythologie. Die Frau am Feuer hatte allerdings wenig gemein mit einer mythischen Schönheit. Sie durchlöcherte Cornelius und Helena mit wütenden Blicken.
»Idioten!«, zischte sie. »Was seid ihr nur für Dummköpfe! Ihr habt unsere Abmachung gebrochen. Wisst ihr überhaupt, welchen Schaden ihr anrichten könnt? Kindisch ist euer Benehmen, dem Kreis nicht würdig!«
Cornelius wollte sich rechtfertigen, senkte aber den Kopf. »Du hast recht. Wir haben versprochen, dass du uns jederzeit finden wirst. Aber wir waren nicht da.«
»Seit dreizehn Jahren seid ihr beide wie vom Erdboden verschluckt. Habt ihr euch an das Leben der normalen Menschen gewöhnt? Seid ihr unvorsichtig geworden? Oder habt ihr euren Schwur vergessen?«
Sie erhob sich und ging auf ihn zu. Keiner der Männer am Feuer schien Notiz von ihr zu nehmen. Die Mienen waren starr auf die brennende Tonne gerichtet. Beim Gedanken, dass Aurora etwas mit ihren Hirnen angestellt hatte, jagte ein Schauer über Jonathans Rücken.
»Was willst du von uns?«, fragte Helena.
Aurora lachte heiser. »Der Wind hat mir ein Gerücht zugeflüstert, und ich bin gekommen, um mich selbst davon zu überzeugen.«
Jonathan konnte sehen, dass seine Eltern einen erschrockenen Blick tauschten.
»Keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Cornelius.
Sie wusste, dass er log. »Du bist ein Idiot, Cornelius Harkan! Wo du doch weißt, dass du mich nicht täuschen kannst. Seit deiner Kindheit war ich deine Vertraute, dein Schutz. Warum lügst du mich an?«
Seine Kiefer mahlten wie Mühlsteine. »Also gut. Uns wurde etwas in die Hände gespielt …«
»Das Herz des Lazarus!«, schrie Aurora. Als Cornelius keinen Widerspruch einlegte, lachte sie triumphierend. »Also sind die Gerüchte wahr. Ihr habt es gefunden! Das, was er so sehr fürchtet, was er so sehr begehrt! Es ist in euren Händen.«
Jonathan spürte, wie seine Eingeweide sich zusammenzogen. Dieses Herz des Lazarus, was immer es auch sein mochte, war furchteinflößend und gefährlich, er konnte es anhand der Reaktion seiner Mutter erkennen. Helena war kein Mensch, der sich leicht aus der Fassung bringen ließ. Was verbargen seine Eltern vor ihm? Welche Überraschungen würden ihn noch erwarten? Enttäuschung, Wut, Fassungslosigkeit, alles überkam ihn auf einmal.
»Woher weißt du davon?«, fragte Helena, die plötzlich noch bleicher war als das Mondlicht.
»Es ist meine Aufgabe, Dinge zu wissen, Kindchen! Und ganz besonders Dinge, die euch beide betreffen. Aber das ist jetzt unwichtig. Das Herz des Lazarus, ihr müsst es mir geben! Ich werde es zu mächtigen Freunden bringen, wo es in Sicherheit ist. Ihr könnt es unmöglich beschützen, und auf keinen Fall darf er es finden.«
»Das wird er nicht.«
Zorn blitzte in den Augen der Frau auf. »Du glaubst, du kannst es vor ihm verstecken, Cornelius? Er wird kommen, er wird dich finden und dir alles nehmen, was dir lieb und teuer ist, und dann wird er mit seinen Fingern in deinem Schädel wühlen, bis er die Antworten hat, die er sucht.« Sie streckte ihre Hand nach Cornelius aus und klapperte mit ihren Fingernägeln. »Du weißt, zu was dieses kleine unscheinbare Ding fähig ist, wenn es in die falschen Hände gerät.«
»Dessen bin ich mir bewusst, Aurora. Aber ich kann es dir nicht geben.«
»Und warum nicht?«
»Ganz einfach: weil ich es nicht habe.«
»Dann führe mich hin!«
Cornelius schüttelte den Kopf. »Der Große Kreis wird beschließen, was damit geschehen soll.«
»Du Dummkopf!«, rief Aurora. »Du weißt ja nicht, mit welchem Einsatz du spielst. Unser aller Leben ist in Gefahr! Die Spione des Feindes wissen längst, was geschehen ist, da bin ich sicher.«
Cornelius blieb unbeeindruckt, zumindest äußerlich. »Unsere Entscheidung steht fest.«
Die Frau lächelte listig, und das Mondlicht ließ ihre Zähne leuchten. »Du hast Geheimnisse vor mir, Cornelius. Erst
Weitere Kostenlose Bücher