Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
dass es mir noch nie gelungen ist.«
    Während Lady Pole das sagte, geschah etwas, was Arabella nicht begriff. Es war, als hätte sich etwas in einem Gemälde bewegt oder als wäre jemand hinter einem Spiegel vorbeigegangen, und wieder hatte sie die Empfindung, dass dieses Zimmer kein Zimmer war, dass die Wände nicht fest waren, sondern dass der Raum vielmehr eine Art Wegekreuzung war, auf der seltsame Winde von fernen Orten zu Lady Pole wehten.
    »Im Jahr 1607«, begann Lady Pole, »erbte ein Herr namens Redeshawe in Halifax, West Yorkshire, zehn Pfund von seiner Tante. Von dem Geld kaufte er einen türkischen Teppich, den er mit nach Hause nahm und auf die Steinplatten in seinem Salon legte. Dann trank er Bier und schlief in einem Sessel neben dem Kamin ein. Er wachte gegen zwei Uhr morgens auf und musste feststellen, dass der Teppich mit drei- oder vierhundert Leuten bedeckt war, alle ungefähr zwei oder drei Zoll groß. Mr. Redeshawe sah, dass die wichtigsten Personen, sowohl Männer als auch Frauen, mit prächtigen goldenen oder silbernen Rüstungen angetan waren und auf weißen Hasen ritten – die für sie so groß waren wie für uns Elefanten. Als er sie fragte, was sie vorhätten, kletterte eine tapfere Seele auf seine Schulter und brüllte ihm ins Ohr, dass sie gemäß den Regeln von Honore Bonet eine Schlacht schlagen wollten, und Mr. Redeshawes Teppich sei hervorragend dafür geeignet, weil das regelmäßige Muster es den Herolden gestattete, nachzuprüfen, ob jedes Heer korrekt Stellung bezogen und keinen unfairen Vorteil gegenüber dem anderen hatte. Mr. Redeshawe war jedoch nicht damit einverstanden, dass auf seinem neuen Teppich eine Schlacht ausgetragen wurde, holte einen Besen und... Nein, warten Sie.« Lady Pole hielt inne und schlug die Hände vors Gesicht. »Das ist nicht, was ich sagen wollte.«
    Sie setzte erneut an. Dieses Mal erzählte sie eine Geschichte von einem Mann, der in den Wald zum Jagen ging. Er wurde von seinen Freunden getrennt. Sein Pferd blieb mit dem Huf in einem Kaninchenbau stecken, und er stürzte aus dem Sattel. Während er fiel, hatte er den eigenartigen Eindruck, dass er in den Kaninchenbau fiel. Als er aufstand, fand er sich in einem fremden Land wieder, das von seiner eigenen Sonne erhellt und von seinem eigenen Regen gewässert wurde. In einem Wald, der dem vorherigen sehr ähnlich war, stieß er auf ein großes Haus, in dem eine Gesellschaft von Herren – manche davon höchst sonderbar – Karten spielte.
    Lady Pole erzählte gerade, wie die Herren den verirrten Jäger aufforderten, mitzuspielen, als ein leises Geräusch – kaum lauter als ein Atemholen – Arabella veranlasste, sich umzuwenden. Sir Walter hatte den Raum betreten und blickte bestürzt auf seine Frau hinunter.
    »Du bist müde«, sagte er zu ihr.
    Lady Pole blickte zu ihrem Mann empor. In diesem Moment war ihr Ausdruck sonderbar. Traurigkeit fand sich darin und Mitleid und seltsamerweise ein wenig Amüsiertheit. Es war, als würde sie zu sich selbst sagen: Schau uns nur an. Was für ein trauriges Paar wir doch sind. Laut sagte sie: »Ich bin nicht müder als sonst. Ich muss letzte Nacht viele Meilen weit gegangen sein. Und stundenlang getanzt haben.«
    »Dann musst du dich ausruhen«, beharrte er. »Ich bringe dich nach oben zu Pampisford, und sie wird sich um dich kümmern.«
    Zuerst schien Lady Pole geneigt, sich ihm zu widersetzen. Sie ergriff Arabellas Hand und hielt sie fest, als wollte sie ihm zeigen, dass sie sich nicht von ihr trennen lassen wollte. Aber dann ließ sie sie genauso schnell wieder los und erlaubte ihm, sie hinauszuführen.
    In der Tür wandte sie sich um. »Auf Wiedersehen, Mrs. Strange. Ich hoffe, man wird Sie wieder zu mir lassen. Ich hoffe, Sie werden mir diese Ehre erweisen. Ich sehe niemanden. Nein, vielmehr sehe ich Räume voller Menschen, aber es ist nicht eine Menschenseele darunter.«
    Arabella machte einen Schritt auf Lady Pole zu, in der Absicht, ihr die Hand zu schütteln und zu versichern, dass sie gern wiederkommen würde, aber Sir Walter hatte Ihre Ladyschaft bereits hinausgeführt. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde Arabella im Haus in der Harley Street allein gelassen.
    Eine Glocke begann zu läuten.
    Natürlich war sie ein wenig überrascht nach allem, was Sir Walter über die Glocken von St.-Mary-le-bone gesagt hatte, die aus Rücksicht auf Lady Poles Krankheit nicht mehr läuteten. Diese Glocke klang sehr traurig und wie aus weiter Ferne, und Arabella sah

Weitere Kostenlose Bücher