Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
alle möglichen melancholischen Szenen vor sich ...
    ... öde, windgepeitschte Sümpfe und Moore; brache Felder, umgeben von eingestürzten Mauern und aus den Angeln gerissenen Gattern; die schwarze Ruine einer Kirche; ein offenes Grab; ein an einem einsamen Kreuzweg begrabener Selbstmörder; ein Scheiterhaufen aus Knochen, der im dämmrigen Schnee loderte; ein Galgen, an dem ein Mann hin und her schwang; ein anderer Mann, auf ein Rad geflochten; ein alter, in der Erde steckender Speer, von dem ein seltsamer Talisman, ein kleiner lederner Finger, hing; eine Vogelscheuche mit schwarzen Lumpen, die so heftig im Wind flatterten, dass sie in der grauen Luft herumzuspringen und wie auf breiten schwarzen Flügeln auf sie zuzufliegen schien ...
    »Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn Sie hier etwas gesehen haben, was Sie aus der Fassung gebracht hat«, sagte Sir Walter, der plötzlich wieder im Raum stand.
    Arabella griff nach einem Stuhl, um sich daran festzuhalten.
    »Mrs. Strange? Ihnen ist nicht wohl.« Er fasste sie am Arm und war ihr dabei behilflich, sich zu setzen. »Soll ich jemanden holen? Ihren Mann? Die Zofe Ihrer Ladyschaft?«
    »Nein, nein«, sagte Arabella etwas außer Atem. »Ich brauche niemanden, nichts. Ich dachte... Ich wusste nicht, dass Sie schon wieder zurück sind. Das ist alles.«
    Sir Walter schaute sie besorgt an. Sie versuchte, ihn anzulächeln, war aber nicht sicher, ob ihr das Lächeln gelang.
    Er steckte die Hände in die Taschen, nahm sie wieder heraus, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und seufzte tief. »Ich nehme an, Ihre Ladyschaft hat Ihnen alle möglichen seltsamen Geschichten erzählt«, sagte er betrübt.
    Arabella nickte.
    »Und das hat Sie beunruhigt. Das tut mir sehr Leid.«
    »Nein, nein. Überhaupt nicht. Ihre Ladyschaft hat ein bisschen ... seltsame Dinge erzählt, aber das hat mir nichts ausgemacht. Überhaupt nichts! Ich habe mich ein wenig schwach gefühlt. Aber ich bitte Sie, bringen Sie diese beiden Dinge nicht miteinander in Verbindung. Es hatte nichts mit Ihrer Ladyschaft zu tun. Ich hatte plötzlich die alberne Vorstellung, dass sich vor mir eine Art Spiegel befindet, mit allen möglichen seltsamen Landschaften darin, und ich dachte, ich würde hineinfallen. Vermutlich wäre ich ohnmächtig geworden, aber Ihr Erscheinen hat es verhindert. Das ist sehr eigenartig. So etwas ist mir noch nie passiert.«
    »Ich werde Mr. Strange holen.«
    Arabella lachte. »Wenn Sie es wünschen, aber ich versichere Ihnen, dass er längst nicht so besorgt sein wird wie Sie. Mr. Strange hat kein großes Interesse am Wohlbefinden anderer Leute. An seinem eigenen dagegen liegt ihm viel. Aber es ist nicht nötig, jemanden zu holen. Sehen Sie! Ich bin wieder ganz ich selbst. Nichts fehlt mir.«
    Eine Weile herrschte Schweigen.
    »Lady Pole ...«, setzte Arabella an und hielt dann inne, weil sie nicht wusste, wie sie fortfahren sollte.
    »Normalerweise ist Ihre Ladyschaft sehr ruhig«, sagte Sir Walter, »nicht gerade im Frieden mit sich, aber ruhig. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn eine fremde Person ins Haus kommt, erzählt sie jedoch immer diese komischen Geschichten. Ich bin sicher, dass Ihnen nicht daran gelegen ist, zu wiederholen, was sie gesagt hat.«
    »Oh! Aber natürlich nicht. Um nichts in der Welt würde ich es wiederholen.«
    »Sie sind sehr freundlich.«
    »Und darf ich... darf ich wiederkommen? Ihre Ladyschaft scheint es zu wünschen, und mich würde ihre Bekanntschaft sehr glücklich machen.«
    Sir Walter dachte eine Weile über diesen Vorschlag nach. Schließlich nickte er. Dann verwandelte er das Nicken in eine Verbeugung. »Damit würden Sie uns beiden eine große Ehre erweisen«, sagte er. »Ich danke Ihnen.«
    Strange und Arabella verließen das Haus in der Harley Street. Strange war in Hochstimmung. »Ich weiß, wie es gehen könnte«, sagte er zu Arabella. »Nichts könnte einfacher sein. Schade, dass ich erst Norrells Meinung dazu hören muss, bevor ich anfangen kann, sonst könnte ich das Problem in einer halben Stunde lösen. Meiner Ansicht nach gibt es zwei entscheidende Punkte. Erstens ... Was ist los ?«
    Mit einem leisen »Oh!« war Arabella stehen geblieben.
    Denn ihr war plötzlich eingefallen, dass sie zwei einander ausschließende Versprechen gegeben hatte: Lady Pole hatte sie versprochen, Strange von dem Herrn in Yorkshire zu erzählen, der einen Teppich gekauft hatte; und Sir Walter hatte sie versprochen, nichts zu wiederholen, was Lady Pole erzählt

Weitere Kostenlose Bücher