Jonathan Strange & Mr. Norrell
dass, wenn sie die Armee bis hier nach Westen marschieren lassen würden und dann hier eine Brücke über den Fluss bauen und dann die Franzosen hier angreifen würden ...
»Das dauert zu lange«, stellte Lord Wellington fest. »Viel zu lange. Merlin, könnten Sie nicht dafür sorgen, dass der Armee Flügel wachsen, damit sie über die Franzosen fliegen kann? Meinen Sie, das schaffen Sie?« Seine Lordschaft sprach halb im Spaß, aber eben nur halb. »Es geht nur darum, jeden Mann mit einem kleinen Paar Flügel auszustatten. Nehmen Sie zum Beispiel Hauptmann Macpherson«, sagte er und blickte auf einen riesigen Schotten. »Ich würde zu gern sehen, wie Macpherson Flügel wachsen und er losflattert.«
Strange schaute Hauptmann Macpherson nachdenklich an. »Nein«, sagte er schließlich. »Aber ich wäre dankbar, mein Lord, wenn Sie mir gestatten, ihn – und die Landkarte – für ein oder zwei Stunden auszuleihen.«
Strange und Macpherson studierten eine Weile die Karte, dann kehrte Strange zu Wellington zurück und sagte, es würde zu lange dauern, jedem Einzelnen in der Armee Flügel wachsen zu lassen, aber es würde keinen Moment dauern, den Fluss zu versetzen, und ob ihm damit gedient sei? »Im Augenblick«, sagte Strange, »fließt der Fluss hier nach Süden und macht hier eine Biegung in Richtung Norden. Wenn er nun hier nach Norden fließen und hier in Richtung Süden abbiegen würde, dann wären wir, wie Sie sehen, auf dem Nordufer und die Franzosen im Süden.«
»Oh!«, sagte Seine Lordschaft. »Sehr gut.«
Die neue Lage des Flusses brachte die Franzosen so durcheinander, dass einige Kompanien, die den Befehl hatten, nach Norden zu marschieren, sich genau in die entgegengesetzte Richtung bewegten. Sie waren der festen Überzeugung, Norden liege in der Richtung, in der man sich vom Fluss entfernte . Die betreffenden Kompanien tauchten nie wieder auf, und es wird allgemein vermutet, dass sie von den spanischen Guerilleros umgebracht worden waren.
Lord Wellington bemerkte später amüsiert zu General Picton, dass nichts so anstrengend für Truppen und Pferde sei wie das ewige Herummarschieren, und dass er es in Zukunft für besser halte, wenn alle stehen blieben, während Mr. Strange Spanien wie einen Teppich unter ihren Füßen bewegte.
In der Zwischenzeit zeigte sich der Spanische Kronrat in Cadiz von diesen Entwicklungen überaus beunruhigt, und seine Mitglieder begannen sich zu fragen, ob sie das Land wiedererkennen würden, wenn sie es schließlich von den Franzosen zurückerobert hätten. Sie beschwerten sich beim Außenministenum (was viele Leute für undankbar hielten). Das Außenministenum überredete Strange, einen Brief an den Kronrat zu schreiben, in dem er versprach, den Fluss und auch »... alles andere, was Lord Wellington im Verlauf des Krieges zu verlegen wünscht...«, wieder auf seinen ursprünglichen Platz zurückzusetzen. Zu den zahlreichen Dingen, deren Lage Strange veränderte, gehörten: ein Wald aus Olivenbäumen und Pinien in Navarra 75 , die Stadt Pamplona 76 und zwei Kirchen in dem französischen Städtchen St. Jean de Luz 77 .
Am 6. April 1814 dankte Kaiser Napoleon Buonaparte ab. Lord Wellington, so wird berichtet, führte einen kleinen Tanz auf, als man ihm davon erzählte. Als Strange von den Neuigkeiten erfuhr, lachte er lauthals, hielt dann plötzlich inne und murmelte: »Gütiger Gott! Was werden sie jetzt mit uns anstellen?« Damals nahm man an, dass diese etwas rätselhafte Bemerkung sich auf die Armee bezog, doch später fragte man sich, ob er vielleicht sich und den anderen Zauberer gemeint hatte.
Europas Landkarte wurde neu gezeichnet: Buonapartes neue Königreiche wurden aufgelöst und die alten wiederhergestellt; manche Könige wurden abgesetzt; andere wurden erneut auf den Thron gesetzt. Die Völker Europas beglückwünschten sich gegenseitig dazu, den großen Eindringling endlich besiegt zu haben. Aber den Bewohnern Großbritanniens wurde plötzlich deutlich, dass der Krieg einem ganz anderen Zweck gedient hatte: Er hatte Großbritannien zur größten Nation der Welt gemacht. In London wurde Mr. Norrell die Befriedigung zuteil, von allen Seiten zu hören, dass Zauberei – seine Zauberei und die von Mr. Strange – dabei unerlässlich gewesen sei.
Eines Abends Ende Mai kehrte Arabella von einem Abendessen zur Feier des Sieges im Carlton House nach Hause zurück. Sie hatte mit angehört, wie man ihren Mann in höchsten Tönen lobte, zu seinen Ehren wurden
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