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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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gerechtfertigt und jeder großzügige Gedanke verfehlt gewesen war. Seine Feinde waren verabscheuungswürdig und seine Freunde waren Verräter. Norrell war (natürlich) am schlimmsten von allen, aber sogar Arabella war schwach und seiner Liebe nicht würdig.
    »Ah!«, sagte Seine Majestät und seufzte. »Sie wurden also auch betrogen.«
    »Ja«, sagte Strange traurig.
    Sie schauten zum Wald. Die Lichter zwischen den Bäumen, so winzig sie waren, vermittelten Strange eine intensive Vorstellung des Hauses und seiner Behaglichkeit. Er konnte nahezu das warme Kerzenlicht sehen, das auf die bequemen Sessel fiel, die alten Kamine, in denen helle Feuer loderten, die Gläser mit heißem gewürztem Wein, die sie nach ihrem Weg durch den dunklen Wald wärmen würden. Die Lichter legten auch noch andere Ideen nahe. »Ich glaube, dort befindet sich eine Bibliothek«, sagte er.
    »Aber gewiss doch!«, sagte der König und klatschte begeistert in die Hände. »Sie werden die Bücher lesen, und wenn Ihre Augen müde sind, werde ich Ihnen vorlesen. Aber wir müssen uns beeilen. Hören Sie auf die Musik! Er wird ungeduldig, wir sollen ihm endlich folgen.«
    Seine Majestät streckte die Hand aus, um nach Stranges linkem Arm zu fassen. Damit er sich unterhaken konnte, musste Strange etwas aus der linken Hand nehmen. Es war Ormskirks Offenbarungen von sechsunddreißig anderen Welten .
    Ach, das , dachte er. Das brauche ich nicht mehr. In dem Haus im Wald gibt es bestimmt bessere Bücher. Er öffnete die Hand und ließ die Offenbarungen auf den schneebedeckten Boden fallen.
    Der Schnee fiel dichter. Der Flötenspieler spielte. Sie eilten auf den Wald zu. Während sie rasch ausschritten, rutschte dem König die rote Schlafmütze über die Augen. Strange zog sie zurecht. Dabei fiel ihm plötzlich wieder ein, was er über die Farbe Rot wusste: Sie war ein mächtiger Schutz vor Verzauberung.
    »Schnell! Schnell!«, rief der König.
    Der Flötenspieler spielte ein paar rasche Noten, die wie das Heulen des Windes aufstiegen und abfielen. Aus dem Nirgendwo wehte unvermittelt ein echter Wind heran und hob und schob sie über die Erde auf den Wald zu. Als er sie wieder absetzte, waren sie wesentlich näher am Wald.
    »Ausgezeichnet!«, rief der König.
    Stranges Blick fiel auf die Schlafmütze.
    ... Schutz vor Verzauberung ...
    Der Flötenspieler beschwor einen weiteren Wind herauf, der dem König die Schlafmütze vom Haupt wehte.
    »Einerlei! Einerlei!«, rief der König frohgemut. »Er hat mir ganz viele Schlafmützen versprochen, wenn wir in seinem Haus sind.«
    ... Schutz vor Verzauberung ...
    Er erinnerte sich, zu einem der Willise gesagt zu haben, dass ein Zauberer, um erfolgreich zaubern zu können, die Stärke seines Charakters einsetzen müsse. Warum fiel ihm das gerade jetzt ein?
    Stell den Mond in meine Augen (dachte er), und sein Weiß wird die falschen Bilder verschlingen, die der Blender hineingetan hat .
    Plötzlich tauchte die narbige weiße Scheibe des Mondes auf -nicht am Himmel, sondern irgendwo anders. Hätte er angeben müssen, wo genau, hätte er gesagt, in seinem Kopf. Es war keine angenehme Empfindung. Alles, woran er denken und was er sehen konnte, war das Antlitz des Mondes, wie ein Splitter eines uralten Knochens. Er vergaß den König. Er vergaß, dass er ein Zauberer war. Er vergaß Mr. Norrell. Er vergaß seinen eigenen Namen.
    Er vergaß alles, nur nicht den Mond ...
    Der Mond verschwand. Strange blickte auf und fand sich an einem verschneiten Ort unweit eines dunklen Waldes wieder. Zwischen ihm und dem Waldrand stand der blinde König in seinem Morgenmantel. Der König musste weitergegangen sein, als er stehen geblieben war. Aber ohne seinen Führer fühlte sich der König verloren und hatte Angst. Er rief laut: »Zauberer! Zauberer! Wo sind Sie?«
    Der Wald erschien Strange nicht länger als ein angenehmer Ort, sondern wie zuvor als finster, unerforschhch, unenglisch . Die Lichter konnte er kaum mehr erkennen; sie waren winzige weiße Punkte in der Dunkelheit und legten nichts so nahe, als dass die Bewohner des Hauses sich nicht viele Kerzen leisten konnten.
    »Zauberer!«, rief der König.
    »Hier bin ich, Majestät.«
    Bring einen Schwärm Bienen an mein Ohr (dachte er). Bienen lieben die Wahrheit und werden die Lügen des Blenders vernichten .
    Ein leises summendes Geräusch füllte seine Ohren, so dass er die Musik des Flötenspielers nicht mehr hören konnte. Es klang fast wie Sprache, und Strange glaubte,

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