Jonathan Strange & Mr. Norrell
keine neugierige Menschenmenge, die herumschlenderte und sich die Waren anschaute. Stattdessen saßen die wenigen Leute, die etwas kaufen wollten, schweigend und mit gefalteten Händen auf dem Boden, während eine Art Auktionator die Waren herumtrug und sie den möglichen Käufern zeigte. Der Auktionator nannte den letzten Preis, der ihm geboten worden war, und der Kunde schüttelte entweder den Kopf oder nannte eine höhere Summe. Es gab keine große Auswahl an Gütern – ein paar Ballen edles Tuch und ein paar bestickte Dinge, vor allem aber Teppiche. Als Stephen seinen Begleiter darauf ansprach, erwiderte der Herr: »Ihre Religion hat die strengsten Vorschriften, Stephen. Außer Teppichen ist ihnen fast alles verboten.«
Stephen sah zu, wie sie betrübt über den Markt gingen, diese Männer, deren Münder stets verschlossen waren, damit sie kein verbotenes Wort aussprachen, deren Augen stets verbotene Anblicke mieden, deren Hände jeden Augenblick vor verbotenen Taten zurückzuckten. Ihm schien, als würden diese Menschen nur halb existieren. Sie hätten genauso gut Träume oder Gespenster sein können. In der stillen Stadt und in der stillen Landschaft schien nur der heiße Wind Substanz zu haben. Stephen hätte sich nicht gewundert, wenn der Wind die Stadt und ihre Bewohner eines Tages davongeweht hätte.
Stephen und der Herr setzten sich unter einem zerrissenen braunen Baldachin in eine Ecke des Marktes.
»Warum sind wir hier, Sir?«, fragte Stephen.
»Damit wir uns in Ruhe unterhalten können, Stephen. Wir haben etwas Ernstes zu besprechen. Ich muss dir leider mitteilen, dass alle unsere schönen Pläne auf höchst taktlose Weise durchkreuzt wurden, und wieder einmal sind es die Zauberer, die uns in die Quere kommen. Nie zuvor bin ich so rüpelhaften Menschen begegnet. Ich glaube, ihr einziges Vergnügen besteht darin, ihre Verachtung für uns unter Beweis zu stellen. Aber eines Tages...«
Dem Herrn war wesentlich mehr daran gelegen, die Zauberer zu schmähen, als sich verständlich auszudrücken, und so dauerte es eine Weile, bis Stephen begriff, was geschehen war. Wie es schien, hatte Jonathan Strange dem König von England einen Besuch abgestattet – aus was für einem Grund erklärte der Herr nicht –, und der Herr war mitgekommen, zum einen, weil er miterleben wollte, was der Zauberer tat, zum anderen, weil er sich den König von England ansehen wollte.
»... ich weiß gar nicht, warum, aber aus irgendeinem Grund hatte ich Seiner Majestät noch nicht aufgewartet. Er stellte sich als höchst sympathische alte Person heraus! Er hat sich mir gegenüber sehr respektvoll verhalten. Wir haben lange miteinander geplaudert. Er hat sehr unter der grausamen Behandlung seiner Untertanen gelitten. Den Engländern bereitet es ein immenses Vergnügen, die Großen und Edlen zu demütigen. Viele große Persönlichkeiten wurden im Verlauf der Geschichte von ihnen aufs Schändlichste verfolgt – Leute wie Charles I., Julius Cäsar und vor allem natürlich Sie und ich.«
»Entschuldigen Sie, Sir. Sie haben Pläne erwähnt. Um welche Pläne handelt es sich?«
»Nun, natürlich um unseren Plan, Sie zum König von England zu machen. Das haben Sie doch nicht etwa vergessen?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Aber...«
»Nun! Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, liebster Stephen«, sagte der Herr und machte sich nicht die Mühe, es herauszufinden, »aber ich muss zugeben, dass ich es allmählich satt habe, darauf zu warten, dass sich Ihr wunderbares Schicksal aus eigenem Antrieb erfüllt. Ich verspüre durchaus die Neigung, den saumseligen Schicksalsgöttinnen vorauszugreifen und Sie selbst zum König zu machen. Wer weiß? Vielleicht bin ich dazu bestimmt, das edle Werkzeug zu sein, das Sie in die hohe Position hebt, die Ihnen rechtmäßig zusteht. Nichts scheint wahrscheinlicher. Nun. Während der König und ich uns unterhielten, ging mir durch den Sinn, dass wir ihn natürlich erst loswerden müssen, bevor Sie König werden können. Bitte beachten Sie! Ich wollte dem alten Mann kein Leid zufügen. Ganz im Gegenteil! Ich habe seine Seele betört und ihn glücklicher gemacht, als er es seit vielen langen Jahren gewesen ist. Aber dann hat sich der Zauberer eingemischt. Kaum hatte ich begonnen, ihn mit einem Zauberbann zu belegen, als der Zauberer begann, gegen mich zu arbeiten. Er wandte einen alten ungeheuer mächtigen Elfenzauber an. Nie zuvor im Leben war ich so überrascht! Wer hätte gedacht, dass er
Weitere Kostenlose Bücher