Jonathan Strange & Mr. Norrell
weiß, wie so etwas geht?«
Der Herr unterbrach seine Tirade lange genug, dass Stephen sagen konnte: »Dankbar wie ich Ihnen für Ihre Fürsorge meiner Person gegenüber bin, Sir, möchte ich doch zu bedenken geben, dass der gegenwärtige König dreizehn Söhne und Töchter hat, der Älteste von ihnen regiert bereits das Land. Wenn der König sterben sollte, ginge die Krone an einen von ihnen über.«
»Ja, ja. Aber die Kinder des Königs sind alle dick und dumm. Wer will von solchen Schreckensgestalten regiert werden? Sobald das englische Volk begreift, dass es von Ihnen, Stephen, regiert werden könnte – der Sie so elegant und charmant sind und dessen vornehmes Antlitz sich so gut auf einer Münze ausnehmen würde –, nun, dann müsste es schon sehr stumpfsinnig sein, wenn es nicht sofort begeistert wäre und Ihr Anliegen unterstützen würde.«
Der Herr, dachte Stephen, verstand wesentlich weniger vom Charakter der Engländer, als er sich einbildete.
In diesem Augenblick wurde ihre Unterhaltung unterbrochen von einem überaus barbarischen Geräusch – es wurde in ein großes Horn geblasen. Ein paar Männer standen auf und schlossen das riesige Stadttor. Stephen, der glaubte, dass der Stadt vielleicht Gefahr drohte, schaute sich beunruhigt um. »Sir, was ist hier los?«
»Ach, es ist hier Sitte, jeden Abend das Stadttor zum Schutz vor den bösen Heiden zu schließen«, sagte der Herr desinteressiert. »Darunter fallen alle außer sie selbst. Aber was ist Ihre Meinung, Stephen? Was sollen wir tun?«
»Tun, Sir? Wogegen?«
»Die Zauberer, Stephen! Die Zauberer! Mir ist jetzt vollkommen klar, dass sie eingreifen werden, sobald sich Ihr wunderbares Schicksal zu erfüllen beginnt. Warum ihnen daran gelegen ist, wer König von England ist, verstehe ich allerdings nicht. Ich nehme an, da sie selbst hässlich und dumm sind, bevorzugen sie einen hässlichen und dummen König. Nein, sie sind unsere Feinde, und infolgedessen obliegt es uns, nach einer Möglichkeit zu suchen, wie wir sie vollständig vernichten können. Gift? Messer? Pistolen? ...«
Der Auktionator näherte sich ihnen mit einem weiteren Teppich in den Händen. »Zwanzig Silberlinge«, sagte er in einem bedächtigen nachdrücklichen Tonfall, als würde er der Welt den wohlverdienten Untergang verkünden.
Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle betrachtete den Teppich nachdenklich. »Es ist natürlich möglich«, sagte er, »jemanden für tausend Jahre im Muster eines Teppichs einzusperren. Das ist ein besonders schreckliches Schicksal, das ich für Menschen reserviert habe, die mich zutiefst kränken – wie zum Beispiel diese Zauberer. Der endlosen Wiederholung von Farbe und Muster – ganz zu schweigen von der Reizung durch den Staub und der Demütigung durch die Flecken – ist es noch immer gelungen, den Gefangenen in den Wahnsinn zu treiben. Der Gefangene kommt aus dem Teppich wieder heraus, entschlossen, sich an der ganzen Welt zu rächen, und die Zauberer und Helden dieser Zeit müssen sich zusammentun und ihn umbringen oder, wie es üblicherweise geschieht, ihn für weitere tausend Jahre ein zweites Mal in einem noch grässlicheren Gefängnis einsperren. Und so wird er im Laufe der Jahrtausende immer wahnsinniger und böser. Ja, Teppiche. Vielleicht...«
»Danke«, sagte Stephen rasch zu dem Auktionator. »Aber wir möchten diesen Teppich nicht kaufen. Bitte, Sir, gehen Sie weiter.«
»Sie haben Recht, Stephen«, sagte der Herr. »Was immer man ihnen vorwerfen kann, diese Zauberer wissen sich gegen Verzauberung zu wehren. Wir müssen einen anderen Weg finden, ihren Willen zu brechen, damit sie sich nicht länger gegen uns stellen. Sie sollen zutiefst bereuen, dass sie ihr Leben der Zauberei verschrieben haben!«
KAPITEL 35
Der Herr aus Nottinghamshire
November 1814
W'ährend Stranges dreijähriger Abwesenheit war Mr. Drawlights und Mr. Lascelles' Einfluss auf Mr. Norrell wieder aufgelebt. Jeder, der Mr. Norrell sprechen oder ihn um Hilfe bitten wollte, musste sich zuerst an sie wenden. Sie berieten Mr. Norrell im Umgang mit den Ministern und sie berieten die Minister im Umgang mit Mr. Norrell. Als Freunde und Ratgeber von Englands bedeutendstem Zauberer suchten die reichsten und elegantesten Leute des Königreichs ihre Bekanntschaft.
Nach Stranges Rückkehr machten sie Mr. Norrell so eifrig ihre Aufwartung wie zuvor, aber jetzt wollte Mr. Norrell nur Stranges Meinung hören und fragte vor allen anderen Strange um Rat. Das war kein
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