Jonathan Strange & Mr. Norrell
davon. Der Elf verwandelte die Steine der halb fertigen Kirche in Zuckerhüte. In der Sonne erwärmte sich der Zucker und wurde klebrig, und ein Teil der Kirche schmolz. In der Stadt roch es wie in einer riesigen Konditorei. Schlimmer noch war, dass Hunde und Katzen angelaufen kamen und an der Kirche leckten, Vögel, Ratten und Mäuse daran knabberten. Die Leute hatten also eine halb aufgefressene, missgestaltete Kirche – und das war nicht, was sie im Sinn gehabt hatten. Sie mussten sich an Duffy wenden und ihn bitten, sich bei dem Elfen für sie einzusetzen. Aber Duffy schmollte und wollte ihnen nicht helfen, weil sie ihn in der Vergangenheit stets verspottet hatten. Also mussten sie dem armen verrückten Tropf alle möglichen Komplimente für seine Schlauheit und sein gutes Aussehen machen. Dann trat Duffy beim Elfen für sie ein, und was für ein Unterschied! Der Elf hörte auf, sie zu tyrannisieren, und wandelte die Zuckerkirche zurück in eine Steinkirche. Die Städter fällten den Wald auf dem Marktplatz und kauften neues Vieh. Aber die Kirche bekamen sie nie wieder richtig hin. Auch heute noch hat die Kirche von Chesterfield etwas Seltsames. Sie ist nicht so wie andere Kirchen.«
Strange schwieg einen Moment, dann sagte er: »Sind Sie der Meinung, Mr. Norrell, dass die Elfen England für immer verlassen haben?«
»Ich weiß es nicht. Es gibt viele Geschichten von Engländern und Engländerinnen, die sich während der letzten drei- oder vierhundert Jahre an allen möglichen abgelegenen Orten mit Elfen getroffen haben, aber da niemand von diesen Leuten ein Gelehrter oder Zauberer war, sind ihre Aussagen nicht viel wert. Wenn Sie oder ich einen Elfen rufen – ich meine«, fügte er hastig hinzu, »wenn wir so schlecht beraten wären, so etwas zu tun –, dann werden die Elfen prompt auftauchen, vorausgesetzt, wir beschwören korrekt. Aber woher sie kommen und auf welchen Wegen, ist ungewiss. In den Zeiten von John Uskglass wurden richtige Wege gebaut, die von England ins Elfenland führten – breite grüne Wege zwischen hohen grünen Hecken oder Steinmauern. Die Wege gibt es noch, aber ich glaube, dass Elfen sie heutzutage ebenso wenig benutzen wie Menschen. Die Wege sind überwuchert und verfallen. Sie sehen verlassen aus, und soweit ich weiß, meiden die Menschen sie.«
»Die Leute glauben, dass Elfenwege Unglück bringen«, sagte Strange.
»Das ist albern«, erwiderte Norrell. »Elfenwege fügen niemandem Schaden zu. Elfenwege führen nirgendwohin.« 84
»Und was ist mit den halbmenschlichen Abkömmlingen der Elfen? Erben sie das Wissen und die Kräfte ihrer Vorväter?«, fragte Strange.
»Ach, das ist eine ganz andere Frage. Viele Leute haben heutzutage Nachnamen, die auf den elfischen Ursprung ihrer Vorfahren hinweisen. Anderland und Elfkind sind zwei. Elfick ein anderer. Und Elfried natürlich. Ich erinnere mich an einen Tom Anderland, der auf einem unserer Bauernhöfe arbeitete, als ich noch ein Kind war. Aber es ist äußerst selten, dass die Nachkommen der Elfen ein zauberisches Talent haben. Stattdessen stehen sie oft in dem Ruf, boshaft, stolz und faul zu sein – Laster, für die ihre elfischen Vorfahren berüchtigt sind.«
Am nächsten Tag traf sich Strange mit den Königlichen Herzögen und brachte sein großes Bedauern zum Ausdruck, dass er gegen den Wahnsinn des Königs nichts habe ausrichten können. Ihre Königlichen Hoheiten waren betrübt, es zu hören, aber überhaupt nicht überrascht. Sie hatten damit gerechnet und versicherten Strange, dass sie es ihm nicht im Mindesten verübelten. Sie waren erfreut über alles, was er getan hatte, und besonders gefiel ihnen, dass er kein Honorar verlangte. Als Gegenleistung gewährten sie ihm die Verwendung ihrer Wappen. Das hieß, dass er, wenn es ihm beliebte, über seine Tür am Soho Square vergoldete Gipsabbildungen ihrer fünf Wappen anbringen und jedem erzählen konnte, dass er der offizielle Hofzauberer der Königlichen Herzöge wäre.
Strange erzählte den Herzögen nicht, dass er ihre Dankbarkeit mehr verdiente, als sie ahnten. Er war ganz sicher, dass er den König vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt hatte. Er wusste nur nicht, worin es bestanden hätte.
KAPITEL 34
Am Rand der Wüste
November 1814
Stephen und der Herr mit dem Haar wie Distelwolle gingen durch die Straßen einer fremden Stadt.
»Werden Sie denn nicht müde, Sir?«, fragte Stephen. »Ich bin müde. Wir gehen jetzt schon seit Stunden.«
Der Herr stieß ein
Weitere Kostenlose Bücher