Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
kümmert uns. Wenn Sie heute dieses Haus verlassen und Ihren eigenen Weg verfolgen, mit wem werden Sie sich dann unterhalten? So, wie wir uns gerade unterhalten? Es gibt niemanden. Sie werden einsam sein.« Fast flehentlich flüsterte er: »Tun Sie das nicht!«
    Strange starrte seinen Lehrer verblüfft an. Das hatte er nicht erwartet. Weit davon entfernt, sich wegen Stranges Rezension einem leidenschaftlichen Wutanfall hinzugeben, schien Mr. Norrell sich lediglich zu einem Ausbruch von Aufrichtigkeit und Demut hinreißen zu lassen. Momentan, so kam es Strange vor, wäre es sowohl vernünftig als auch wünschenswert, sich wieder unter Mr. Norrells Fittiche zu begeben. Lediglich Stolz und das Bewusstsein, dass er in ein oder zwei Stunden mit Sicherheit anders empfinden würde, ließen ihn sagen: »Es tut mir Leid, Mr. Norrell, doch schon seit meiner Rückkehr von der Iberischen Halbinsel kam es mir nicht richtig vor, mich als Ihren Schüler zu bezeichnen. Ich habe mich gefühlt wie ein Schauspieler. Ihnen meine Arbeiten für Ihr Einverständnis vorzulegen, damit Sie sie ändern können, bis sie Ihnen zusagen – das kann ich nicht länger tun. Das ist so, als müsste ich etwas sagen, woran ich nicht mehr glaube.«
    »Alles, alles muss in der Öffentlichkeit geschehen«, sagte Mr. Norrell seufzend. Er beugte sich vor und fuhr etwas lebhafter fort: »Lassen Sie sich von mir anleiten. Versprechen Sie mir, dass Sie nichts veröffentlichen, nichts sagen, nichts tun werden, bis Sie in dieser Angelegenheit zu einer endgültigen Entscheidung gelangt sind. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass zehn, zwanzig, ja selbst fünfzig Jahre Schweigen sich lohnen. Am Ende stellen Sie mit Befriedigung fest, dass Sie nur gesagt haben, was nötig war – nicht mehr und nicht weniger. Schweigen und Untätigkeit werden Ihnen nicht gefallen – das weiß ich. Aber ich verspreche, Ihnen so viele Zugeständnisse wie möglich zu machen. Sie werden dabei nichts verlieren. Falls Sie je Grund hatten, mich der Undankbarkeit zu bezichtigen, so wird das in Zukunft nicht mehr vorkommen. Ich werde jedermann erzählen, wie sehr ich Sie schätze. Wir werden nicht mehr Lehrer und Schüler sein. Lassen Sie es zu einer Partnerschaft unter Gleichen werden! Habe ich nicht ohnehin fast genauso viel von Ihnen gelernt wie Sie von mir? Das einträglichste Geschäft soll ganz Ihnen gehören! Die Bücher...« Er schluckte verhalten. »Die Bücher, die ich Ihnen hätte leihen sollen und die ich Ihnen vorenthalten habe – Sie sollen sie lesen! Wir werden nach Yorkshire reisen, Sie und ich gemeinsam -noch heute Abend, wenn Sie es wünschen! –, und ich werde Ihnen den Schlüssel zur Bibliothek geben, und Sie werden lesen, was Ihr Herz begehrt. Ich ...« Mr. Norrell fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als sei er von seinen eigenen Worten überrascht. »Ich werde nicht einmal einen Widerruf der Rezension verlangen. Soll sie stehen bleiben, wie sie ist. Und im Laufe der Zeit werden wir, Sie und ich gemeinsam, all die Fragen beantworten, die Sie darin aufwerfen.«
    Es folgte ein langes Schweigen. Mr. Norrell beobachtete gespannt das Gesicht des anderen Zauberers. Sein Angebot, Strange die Bibliothek in Hurtfew zu zeigen, blieb nicht ohne Wirkung. Eine Weile geriet Stranges Entschluss, sich von seinem Meister zu trennen, deutlich ins Schwanken, doch schließlich sagte er: »Ich fühle mich geehrt, Sir. Sie sind, das weiß ich, normalerweise kein Mann, der Kompromisse eingeht. Doch ich glaube, ich muss nun meinen eigenen Weg einschlagen. Ich glaube, wir müssen uns trennen.«
    Mr. Norrell schloss die Augen.
    In dem Moment wurde die Tür geöffnet. Lucas und ein weiterer Diener traten mit einem Teetablett ein.
    »Kommen Sie, Sir«, sagte Strange.
    Er berührte den Arm seines Meisters, um ihn ein wenig aufzumuntern, und die beiden einzigen Zauberer Englands tranken zum letzten Mal gemeinsam Tee.
    Strange verließ den Hanover Square um halb neun. Mehrere Leute, die hinter ihren Erdgeschossfenstern ausgehalten hatten, sahen, wie er fortging. Andere, die es als unter ihrer Würde befanden, selbst nachzusehen, hatten ihre Zofen und Diener an den Hanover Square geschickt. Ob auch Lascelles ein solches Arrangement getroffen hatte, ist nicht bekannt, aber zehn Minuten, nachdem Strange in die Oxford Street eingebogen war, klopfte Lascelles an Mr. Norrells Tür.
    Mr. Norrell war immer noch in der Bibliothek, saß immer noch in dem Sessel, in dem er gesessen hatte, als

Weitere Kostenlose Bücher