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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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für sie zuständig. Zehn Minuten, nachdem Oakley und Bullbridge ihren Bericht beendet hatten, waren alle weg. Sie suchten, so lange das Tageslicht anhielt, doch das Tageslicht konnte nicht mehr lange anhalten. Die Wintersonnenwende lag nur fünf Tage zurück: um drei Uhr dämmerte es; um vier Uhr war es dunkel.
    Die Suchenden kehrten in Stranges Haus zurück, wo Hauptmann Ayrton vor hatte zu besprechen, was bisher geschehen war, und hoffte zu beschließen, was als Nächstes geschehen sollte. Ein paar Damen aus der Gegend waren ebenfalls anwesend. Sie hatten versucht, bei sich zu Hause auf Neuigkeiten über Mrs. Stranges Schicksal zu warten, und empfanden es als einsam und beunruhigend. Einesteils waren sie nach Ashfair gekommen, um da zu sein, falls man sie brauchte, doch hauptsächlich suchten sie Trost in der Gesellschaft der anderen.
    Als Letzte trafen Strange und Jeremy Johns ein. Sie kamen in schlammbespritzten Stiefeln direkt aus dem Stall. Stranges Gesicht war aschfahl und hohläugig. Er wirkte und bewegte sich, als träume er. Hätte Jeremy Johns ihn nicht in einen Sessel geschoben, hätte er sich vermutlich nicht einmal gesetzt.
    Hauptmann Ayrton breitete eine Karte auf dem Tisch aus und begann jeden Suchtrupp zu befragen, wo er gewesen war und was er gefunden hatte – nämlich nichts.
    Jeder Mann und jede Frau im Raum dachte, dass die sorgfältig verzeichneten Linien und Wörter in der Karte in Wahrheit vom Eis bedeckte Teiche und Flüsse waren, stumme Wälder, gefrorene Gräben und hohe, kahle Berge, und jeder von ihnen wusste, wie viele Schafe, Rinder und wilde Tiere in dieser Jahreszeit umkamen.
    »Ich glaube, ich bin letzte Nacht aufgewacht...«, sagte plötzlich eine heisere Stimme. Sie blickten sich um.
    Strange saß immer noch in dem Sessel, in den Jeremy ihn gesetzt hatte. Seine Arme hingen herab und er starrte auf den Boden. »Ich glaube, ich bin letzte Nacht aufgewacht. Ich weiß nicht genau, wann. Arabella saß am Fußende meines Bettes. Sie war vollständig angezogen.«
    »Das haben Sie vorher nicht gesagt«, meinte Mr. Hyde.
    »Ich erinnere mich erst jetzt daran. Ich dachte, ich hätte es geträumt.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Hauptmann Ayrton. »Sie wollen damit sagen, Mrs. Strange hat das Haus vielleicht in der Nacht verlassen?«
    Strange schien nach einer Antwort auf diese überaus nahe liegende Frage zu suchen, doch es fiel ihm keine ein.
    »Aber Sie werden doch sicherlich wissen«, sagte Mr. Hyde, »ob sie heute Morgen da war.«
    »Sie war da. Natürlich war sie da. Es wäre lächerlich, anzunehmen... Zumindest...« Strange hielt inne. »Das heißt, ich habe an mein Buch gedacht, als ich aufstand, und im Zimmer war es dunkel.«
    Mehrere der Anwesenden begannen darüber nachzudenken, dass Jonathan Strange in seiner Rolle als Ehemann zwar nicht völlig nachlässig, aber doch merkwürdig unaufmerksam gegenüber seiner Frau war, und einige von ihnen warfen ihm zweifelnde Blicke zu und ließen sich die vielen Gründe durch den Kopf gehen, aus denen eine augenscheinlich hingebungsvolle Gattin plötzlich im Schnee das Weite sucht. Grausame Worte? Neigung zur Gewalttätigkeit? Die schauderhaften Elemente, die die Arbeit eines Zauberers begleiten – Geister, Dämonen, Schreckensbilder? Die überraschende Entdeckung, dass er irgendwo eine Geliebte und ein halbes Dutzend leiblicher Kinder hatte?
    Plötzlich war ein Schrei aus dem Treppenhaus zu hören. Danach konnte niemand sagen, wessen Stimme es war. Einige von Stranges Nachbarn, die in der Nähe der Tür standen, gingen hinaus, um nachzusehen, was los war. Dann lockten die Ausrufe dieser Leute die Übrigen nach draußen.
    Im Treppenhaus herrschte zunächst Dunkelheit, doch augenblicklich wurden Kerzen gebracht, und man konnte sehen, dass jemand am Fuß der Treppe stand.
    Es war Arabella.
    Henry stürzte zu ihr und umarmte sie; Mr. Piyde und Mrs. Ayrton sagten ihr, wie froh sie seien, sie gesund und munter anzutreffen; andere begannen ihr Erstaunen auszudrücken und jeden, der es hören wollte, wissen zu lassen, sie hätten nicht die geringste Ahnung gehabt, dass sie da war. Ein paar Damen und Zofen scharten sich um sie und fragten sie aus. War sie verletzt? Wo war sie gewesen? Hatte sie sich verlaufen? War ihr etwas Schlimmes zugestoßen?
    Wie es manchmal passiert, fiel mehreren Leuten gleichzeitig etwas ziemlich Seltsames auf: Strange hatte nichts gesagt, sich kein bisschen auf sie zubewegt – noch hatte sie ihrerseits ihn

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