Jonathan Strange & Mr. Norrell
Clun, doch außer dem Schmerz konnte er nichts finden. Er ging guten Mutes davon und sagte zu Strange, er werde in ein oder zwei Tagen wiederkommen.
Am dritten Tag starb sie.
TEIL 3
John Uskglass
Mr. Norrell vom Hanover Square behauptet, dass alles, was mit John Uskglass zu tun hat, aus der Modernen Magie herausgeschüttelt werden muss, so wie man Motten und Staub aus einem alten Rock herausschüttelt. Was, glaubt er, wird dann übrig bleiben? Wenn man John Uskglass entfernt, hält man nur noch Luft in Händen .
Jonathan Strange, Vorwort zu Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei , verlegt von John Murray, London 1816.
KAPITEL 45
Vorwort zu Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei von Jonathan Strange
In den letzten Monaten des Jahres 1110 zog im Norden Englands ein merkwürdiges Heer auf. Zuerst wurde es in der Nähe eines Ortes namens Penlaw, zwanzig oder dreißig Meilen nordwestlich von Newcastle, gesichtet. Niemand wusste, woher es kam – man vermutete, dass es sich um eine Invasion der Schotten, der Dänen oder womöglich gar der Franzosen handelte.
Anfang Dezember hatte das Heer die Burgen von Newcastle und Durham eingenommen und zog nach Westen. Es erreichte Allendale, eine kleine Siedlung aus Steinhäusern hoch auf den Hügeln von Northumbria, und schlug für eine Nacht sein Lager außerhalb des Dorfes am Rand eines Moors auf. Die Bewohner von Allendale waren Schafzüchter, keine Soldaten. Der Ort war nicht befestigt, die nächsten Soldaten waren fünfunddreißig Meilen entfernt und bereiteten sich darauf vor, die Burg von Carlisle zu verteidigen. Infolgedessen hielten es die Dörfler für das Beste, keine Zeit zu verlieren und sich mit dem merkwürdigen Heer anzufreunden. Zu diesem Zweck machten sich mehrere hübsche junge Frauen auf, eine Gruppe mutiger Judiths, die entschlossen waren, sich und ihre Nachbarn, wenn möglich, zu retten. Aber als sie vor dem Heerlager eintrafen, bekamen sie es mit der Angst und zögerten.
Das Lager war ein öder stiller Ort. Es schneite heftig, und die seltsamen Soldaten lagen in ihre schwarzen Umhänge gewickelt auf dem schneebedeckten Boden. Zuerst meinten die jungen Frauen, die Soldaten wären tot – in dieser Meinung wurden sie bestärkt von den zahllosen Raben und anderen schwarzen Vögeln, die sich im Lager eingefunden und sogar auf den am Boden liegenden Soldaten niedergelassen hatten –, aber die Soldaten waren nicht tot; von Zeit zu Zeit rührte sich einer, stand auf und ging zu seinem Pferd oder verscheuchte einen Vogel, wenn der versuchte, an seinem Gesicht herumzupicken.
Als die jungen Frauen näher traten, stand ein Soldat auf. Eine der Frauen schüttelte ihre Angst ab, ging zu ihm und küsste ihn auf den Mund.
Seine Haut war sehr blass (sie schimmerte wie Mondlicht) und völlig makellos. Sein Haar war lang und gerade wie ein dunkelbrauner Wasserfall. Der Schnitt seines Gesichts war ungewöhnlich fein und kräftig. Seine Miene war ernst. Die blauen Augen waren schmal und schräg und die Brauen so dünn und dunkel wie Federstriche mit einem sonderbaren Schnörkel am Ende. Nichts davon bekümmerte das Mädchen. Denn soweit sie wusste, sind alle Dänen, Schotten und Franzosen auf unheimliche Weise schön.
Er nahm den Kuss bereitwillig entgegen und gestattete ihr, ihn noch einmal zu küssen. Dann vergalt er es ihr mit Gleichem. Ein weiterer Soldat stand vom Boden auf und öffnete den Mund, aus dem traurige, klagende Töne kamen. Der erste Soldat – der, den das Mädchen geküsst hatte – zwang sie, mit ihm zu tanzen, schob sie mit seinen langen weißen Fingern in diese und jene Richtung, bis sie sich auf die Weise bewegte, wie er es wünschte.
So ging es eine Weile, bis ihr vom Tanzen heiß wurde und sie kurz innehielt, um ihren Umhang abzulegen. Da sahen ihre Freundinnen, dass sich auf ihren Armen und Beinen und in ihrem Gesicht Blutstropfen bildeten, wie Schweißperlen, und in den Schnee fielen. Der Anblick entsetzte sie, und sie liefen davon.
Das merkwürdige Heer verschonte Allendale. Es zog noch in der Nacht weiter nach Carlisle. Am nächsten Tag gingen die Dörfler bang zu den Feldern, wo das Heer gelagert hatte. Dort fanden sie das Mädchen, ihr Leichnam weiß und blutleer, während der Schnee um sie herum leuchtend rot gefleckt war.
An diesen Zeichen erkannten sie das Daoine Sidhe – das Heer der Elfen.
Schlachten wurden geschlagen, und die Engländer verloren sie alle. Zu Weihnachten war das Elfenheer in York. Es hielt
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