Jonathan Strange & Mr. Norrell
bedeutet das Gegenteil von Ihrer. Sie bedeutet, dass Sie hoch aufsteigen werden, namenloser König. Sie bedeutet, dass Ihr Königreich auf Sie wartet und Ihr Feind vernichtet werden wird. Sie bedeutet, dass die Stunde fast gekommen ist. Der namenlose Sklave wird eine silberne Krone tragen; der namenlose Sklave wird König in einem fremden Land sein ...«
Vinculus hielt Stephens Hand fest und trug die Prophezeiung in ihrer gesamten Länge vor. »Also«, sagte er, nachdem er geendet hatte, »jetzt habe ich es beiden Zauberern gesagt und Ihnen auch. Der erste Teil meiner Aufgabe ist erledigt.«
»Aber ich bin kein Zauberer«, sagte Stephen.
»Das habe ich auch nie behauptet«, erwiderte Vinculus. Dann ließ er unvermittelt Stephens Hand los, zog seinen zerlumpten Rock fest um sich, trat in die Dunkelheit jenseits des Scheins der Laternen und war verschwunden.
Ein paar Tage später äußerte der Herr mit dem Haar wie Distelwolle plötzlich den Wunsch, eine Wolfsjagd zu sehen, was er offenbar seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr getan hatte.
Zufälligerweise fand gerade in Südschweden eine Wolfsjagd statt, und so zauberte er sich und Stephen augenblicklich dorthin. Stephen fand sich auf einem dicken Ast einer uralten Eiche mitten in einem verschneiten Wald wieder. Von hier hatte er einen hervorragenden Blick auf eine kleine Lichtung, auf der ein hoher Holzmast aufgestellt worden war. Oben auf dem Mast befand sich ein altes hölzernes Wagenrad, auf das eine junge Ziege gebunden war. Sie meckerte jämmerlich.
Eine Wolfsfamilie kroch aus dem Unterholz, das Fell mit Schnee und Eis verklebt, den Blick hungrig auf die Ziege gerichtet. Kaum waren sie da, waren überall im Wald Hunde zu hören und Reiter zu sehen, die rasch herbeiritten. Ein Rudel Hunde stürzte auf die Lichtung, die ersten zwei Hunde fielen über einen Wolf her, und die drei Tiere wurden zu einem schnappenden, knurrenden, beißenden, kämpfenden Knäuel aus Körpern, Beinen und Zähnen. Die Jäger galoppierten auf die Lichtung und erschossen den Wolf. Die anderen Wölfe verschwanden zwischen den dunklen Bäumen, gefolgt von den Hunden und Jägern.
Kaum ließ das Jagdgeschehen an einem Ort nach, zauberte der Herr sich und Stephen an einen anderen, wo es besser zu sein versprach. Auf diese Weise sprangen sie von Baumwipfel zu Baumwipfel, von Hügel zu Felsvorsprung. Einmal landeten sie auf dem Kirchturm eines Dorfes, das aus Holzhäusern mit drolligen Fenstern und Türen bestand. Die Dächer waren mit pulvrigem Schnee bestäubt, der im Sonnenschein glitzerte.
Sie warteten in einem stillen Teil des Waldes auf die Jäger, als ein einzelner Wolf an ihrem Baum vorbeikam. Es war ein wunderschönes Tier mit dunklen Augen und einem Fell von der Farbe nassen Schiefers. Er blickte in den Baum empor und wandte sich in einer Sprache an den Herrn, die klang wie das Plätschern des Wassers über Steinen, das Seufzen des Windes zwischen kahlen Ästen und das Knistern des Feuers, das totes Laub verbrennt.
Der Herr antwortete ihm in derselben Sprache, dann lachte er unbekümmert auf und winkte ab.
Der Wolf bedachte den Herrn mit einem letzten vorwurfsvollen Blick und lief weiter.
»Er hat mich gebeten, ihn zu retten«, erklärte der Herr.
»Ach, könnten Sie das nicht tun, Sir? Ich hasse es, wenn so edle Geschöpfe sterben müssen.«
»Stephen mit dem zarten Herzen«, sagte der Herr liebevoll. Aber er rettete den Wolf nicht.
Stephen fand überhaupt keinen Gefallen an der Wolfsjagd. Wohl wahr, die Jäger waren mutig und ihre Hunde waren treu und fleißig; aber Firenzes Tod lag zu kurz zurück, als dass ihm der Tod irgendeines Tieres Vergnügen bereitet hätte, schon gar nicht eines so starken und schönen Tieres wie der Wolf. Da er an Firenze dachte, fiel ihm ein, dass er dem Herrn noch nichts von seiner Begegnung mit dem blauhäutigen Mann auf dem Wagen und von der Prophezeiung erzählt hatte. Er tat es jetzt.
»Wirklich? Nun, das ist ganz unerwartet«, erklärte der Herr.
»Haben Sie die Prophezeiung schon einmal gehört, Sir?«
»Aber natürlich. Ich kenne sie gut. Alle meiner Art kennen sie. Es ist eine Prophezeiung von...« Der Herr nannte einen Namen, den Stephen nicht verstand. 114 »... den Sie besser bei seinem englischen Namen kennen, John Uskglass, der Rabenkönig. Aber ich verstehe nicht, wie sie in England überleben konnte. Ich hätte nicht gedacht, dass sich Engländer noch für solche Dinge interessieren.«
»Der namenlose Sklave. Nun, das bin
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