Jonathan Strange & Mr. Norrell
ich, Sir, nicht wahr? Und die Prophezeiung scheint vorherzusagen, dass ich ein König sein werde.«
»Selbstverständlich werden Sie ein König sein. Das habe ich doch gesagt, und in diesen Dingen irre ich mich nie. Aber so sehr ich Sie auch mag, Stephen, die Prophezeiung bezieht sich überhaupt nicht auf Sie. Der Großteil handelt von der Wiederherstellung der englischen Zauberei, und das, was Sie gerade zitiert haben, ist überhaupt keine Weissagung. Der König erinnert sich daran, wie er zu seinen drei Königreichen kam, eins in England, eins im Elfenland und eins in der Hölle. Mit dem namenlosen Sklaven meint er sich selbst. Er war ein namenloser Sklave im Elfenland, das kleine christliche Kind, versteckt in der Brugh , dorthin verschleppt von einem ganz bösen Elfen, der ihn in England gestohlen hatte.«
Stephen fühlte sich merkwürdig enttäuscht, obschon er nicht wusste, warum. Schließlich wollte er gar kein König sein. Er war kein Engländer; er war kein Afrikaner. Er gehörte nirgendwohin. Vinculus' Worte hatten ihm vorübergehend das Gefühl gegeben, zu irgendetwas zu gehören, Teil eines Musters zu sein und einen Daseinszweck zu haben. Aber das war eine Illusion gewesen.
KAPITEL 48
Die Stiche
Ende Februar bis März 1816
Sie haben sich verändert. Ich bin erschrocken, als ich Sie gesehen habe.«
»Wirklich? Sie erstaunen mich. Ich bin vielleicht etwas dünner, aber sonst weiß ich von keiner Veränderung.«
»Nein, es ist Ihr Gesicht, Ihre Miene, Ihr... irgendetwas.«
Strange lächelte. Oder verzog vielmehr das Gesicht, und Sir Walter nahm an, dass es sich um ein Lächeln handelte. Sir Walter erinnerte sich nicht mehr, wie sein Lächeln früher ausgesehen hatte.
»Es sind die schwarzen Kleider«, sagte Strange. »Ich bin wie ein übrig gebliebener Teil von der Beerdigung, dazu verdammt, durch die Stadt zu laufen und die Leute mit Schrecken an ihre eigene Sterblichkeit zu erinnern.«
Sie befanden sich im Bedford Kaffeehaus in Covent Garden, das Sir Walter gewählt hatte, weil sie hier in der Vergangenheit oft sehr fröhlich gewesen waren und es deshalb vielleicht Stranges Stimmung heben würde. Aber an einem Abend wie diesem mangelte es sogar dem Bedford an Frohsinn. Draußen zerrte ein kalter schwarzer Wind die Menschen hierhin und dorthin und trieb ihnen einen heftigen schwarzen Regen in die Augen. Im Inneren waren die Räume voller feuchter unlustiger Herren, die eine Art düsteren häuslichen Nebel verströmten, den wiederum die Kellner zu vertreiben suchten, indem sie immer noch eine Schaufel Kohlen ins Feuer warfen und den Herren immer noch mehr Gläser mit heißem gewürztem Wein brachten.
Als Sir Walter hereingekommen war, sah er, dass Strange wie wild in einem kleinen Heft schrieb. Sir Walter deutete auf das Heft und sagte: »Sie haben also die Zauberei nicht aufgegeben?«
Strange lachte.
Sir Walter fasste das als Zustimmung auf – und war froh darüber, denn Sir Walter hielt eine Menge davon, dass ein Mann einen Beruf ausübte, und glaubte, dass eine nützliche, beständige Beschäftigung viele Dinge heilen konnte, die andere Mittel nicht heilten. Nur das Lachen gefiel ihm nicht – ein bitteres, hartes Auflachen, wie er es noch nie zuvor von Strange gehört hatte. »Es ist nur, dass Sie gesagt haben...«, setzte er an.
»Oh, ich habe viel gesagt. Alle möglichen seltsamen Ideen sind mir in den Kopf gekrochen. Ein Übermaß an Schmerz kann genauso einen großartigen Anfall von Wahnsinn hervorrufen wie ein Übermaß an allem anderen. Um die Wahrheit zu sagen, ich war eine Zeit lang nicht ich selbst. Um die Wahrheit zu sagen, ich war ein bisschen außer mir. Aber wie Sie sehen, ist das jetzt alles vorbei.«
Aber – um die Wahrheit zu sagen – Sir Walter sah es nicht.
Es genügte nicht zu sagen, dass Strange sich verändert hatte. Er lächelte so oft wie zuvor (obwohl es nicht das gleiche Lächeln war). Er sprach in den gleichen ironischen, beiläufigen Tönen wie immer (und vermittelte dabei den Eindruck, kaum auf seine eigenen Worte zu achten). Seine Worte und sein Gesicht waren so, wie sich seine Freunde erinnerten – mit einem Unterschied: Der Mann dahinter schien nur eine Rolle zu spielen, während seine Gedanken und sein Herz ganz woanders waren. Er lächelte sie sarkastisch an, und niemand wusste, was er wirklich dachte. Er wirkte mehr wie ein Zauberer als je zuvor. Es war sehr merkwürdig, und niemand wurde schlau daraus, aber in mancher Hinsicht war er jetzt mehr wie
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