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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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ihnen entscheiden? Wer kann beurteilen, wer von beiden Recht und wer Unrecht hat?«
    Die Minister blickten einander ratlos an.
    Nur Lord Liverpool, der Premierminister, reagierte gelassen. »Wir werden sie erkennen, wie wir andere Menschen erkennen«, erklärte er, »an ihren Früchten.« 131
    Es folgte eine Pause, in der die Minister darüber nachdachten, dass die Früchte, die Mr. Norrell derzeit trug, nicht sehr vielversprechend waren: Hochmut, Diebstahl und Bosheit.
    Man kam überein, dass der Innenminister privat mit Mr. Lascelles sprechen und ihn bitten würde, Mr. Norrell das extreme Missfallen des Premierministers und der gesamten Regierung auszudrücken.
    Es schien nichts weiter dazu zu sagen zu geben, aber die Minister waren nicht in der Lage, das Thema zu wechseln, ohne vorher ein bisschen geklatscht zu haben. Sie hatten alle gehört, dass Lord Portishead den Verkehr mit Mr. Norrell abgebrochen hatte. Aber Sir Walter konnte ihnen erzählen, dass sich Childermass, der bislang als Schatten seines Meisters gegolten hatte, von Mr. Norrells Interessen distanziert und zu Stranges versammelten Freunden als unabhängige Person gesprochen und ihnen versichert hatte, dass das Buch nicht zerstört sei. Sir Walter seufzte tief. »Ich kann nicht umhin zu glauben, dass das in vieler Hinsicht ein schlechtes Zeichen ist. Norrell war noch nie ein guter Menschenkenner, und jetzt verlassen ihn seine besten Freunde – Strange, John Murray und jetzt Portishead. Wenn Childermass und Norrell streiten, dann bleibt ihm nur noch Henry Lascelles.«
    Stranges Freunde setzten sich alle an diesem Abend hin und schrieben empörte Briefe. Die Briefe würden bis nach Italien zwei Wochen unterwegs sein, und Strange reiste so viel, dass es noch einmal zwei Wochen dauern konnte, bis er sie bekam. Zuerst waren Stranges Freunde zuversichtlich, dass er sofort nach dem Erhalt der Briefe wutentbrannt nach England zurückkehren würde, um mit Norrell vor Gericht und in den Zeitungen zu streiten. Aber im September erhielten sie eine Nachricht, die sie glauben ließ, dass sie vielleicht doch noch eine Weile würden warten müssen.
    Solange Strange unterwegs nach Italien gewesen war, schien er guter Dinge gewesen zu sein. Seine Briefe waren voll von gut gelauntem Unsinn. Aber kaum war er dort angekommen, veränderte sich seine Stimmung. Zum ersten Mal seit Arabellas Tod hatte er keine Arbeit zu erledigen, und nichts lenkte ihn von seinem Witwerdasein ab. Nichts, was er sah, gefiel ihm, und ein paar Wochen schien es, als würde er Erleichterung von seinem Unglück nur in einem beständigen Ortswechsel finden. 132 Anfang September erreichte er Genua. Da ihm diese Stadt besser gefiel als andere italienische Orte, die er aufgesucht hatte, blieb er nahezu eine Woche. Während dieser Zeit nahm auch eine englische Familie in dem Hotel Logis, in dem er wohnte. Obwohl er Sir Walter seine Absicht erklärt hatte, die Gesellschaft von Engländern im Ausland meiden zu wollen, schloss er mit dieser Familie Bekanntschaft. Sofort schrieb er Briefe nach England voll des Lobs für die Manieren, die Klugheit und die Freundlichkeit der Greysteels. Gegen Ende der Woche reiste er nach Bologna weiter, da er dort jedoch keine Zerstreuung fand, kehrte er gleich wieder nach Genua zurück, um mit den Greysteels bis zum Ende des Monats dort zu bleiben und dann mit ihnen nach Venedig zu reisen.
    Selbstverständlich freuten sich Stranges Freunde, dass er angenehme Gesellschaft gefunden hatte, was sie jedoch faszinierte, waren mehrere Hinweise auf die Tochter der Familie, die jung und unverheiratet war und deren Gesellschaft Strange besonderes Vergnügen zu bereiten schien. Der gleiche interessante Gedanke kam mehreren seiner Freunde zur gleichen Zeit: Was, wenn er wieder heiraten würde? Eine hübsche junge Frau würde besser als alles andere seine düsteren Stimmungen aufheitern und ihn von der dunklen, beunruhigenden Zauberei ablenken, auf die er so erpicht zu sein schien.
    Strange war nicht der einzige Pfahl in Mr. Norrells Fleisch. Ein Herr namens Knight hatte in der Henrietta Street in Covent Garden eine Zauberschule gegründet. Mr. Knight war kein praktischer Zauberer und gab auch nicht vor, einer zu sein. Seine Anzeige versprach jungen Herren »eine gründliche Ausbildung in theoretischer Zauberei und in Geschichte der englischen Zauberei anhand der gleichen Prinzipien, die auch unseren größten Zauberer, Mr. Norrell, in der Ausbildung seines berühmten Schülers,

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