Jonathan Strange & Mr. Norrell
würde.
Um sieben Uhr kam Childermass. Er betrat den überfüllten Raum so gefasst, als würde er in die Kirche gehen. »Nun, wie viel haben Sie verloren, Mr. Murray?«, fragte er. Er holte sein Merkheft heraus, nahm einen Federkiel von Mr. Murrays Schreibtisch und tauchte ihn in die Tinte.
»Steck das Heft wieder ein, Childermass«, sagte Mr. Murray. »Ich will euer Geld nicht.«
»Wirklich? Haben Sie Acht, Sir, wie Sie sich von diesen Herren beeinflussen lassen. Manche von ihnen sind jung und tragen keine Verantwortung...« Childermass bedachte Stranges drei Schüler und die Offiziere in Uniform, die den Raum bevölkerten, mit einem kühlen Blick. »Andere sind wohlhabend, und hundert Pfund mehr oder weniger machen ihnen nichts aus.« Childermass blickte zu Lord Portishead. »Aber Sie, Mr. Murray, sind ein Geschäftsmann, und Sie sollten als Erstes an Ihr Geschäft denken.«
»Ha!« Mr. Murray verschränkte die Arme und blickte Childermass triumphierend mit seinem gesunden Auge an. »Du glaubst, dass ich dringend Geld brauchte, aber dem ist nicht so. Den ganzen Abend habe ich Darlehensangebote von Mr. Stranges Freunden erhalten. Ich glaube, ich könnte ein neues Geschäft gründen, wenn ich wollte. Aber ich wünsche, dass du Mr. Norrell eine Botschaft überbringst. Folgendes: Er wird letztlich zahlen -aber zu unseren Bedingungen, nicht seinen. Wir haben vor, ihn für die neue Auflage zahlen zu lassen. Er wird die Anzeigen für das Buch seines Rivalen bezahlen. Das wird ihn heftiger schmerzen als alles andere.«
»Oh, in der Tat! Wenn es denn je so kommt«, sagte Childermass trocken. Er wandte sich zur Tür. Dann blieb er stehen, starrte einen Augenblick auf den Teppich, schien etwas mit sich abzumachen. »Ich werde Ihnen eins sagen«, sagte er. »Das Buch ist nicht vernichtet, auch wenn es im Augenblick so scheint. Ich habe meine Karten befragt, ob es noch Exemplare davon gibt. Wie es scheint, gibt es noch zwei. Strange hat eines, das andere hat Norrell.«
Während des nächsten Monats sprach London von nichts anderem als von der erstaunlichen Tat, die Mr. Norrell vollbracht hatte, aber ob dafür die Boshaftigkeit von Stranges Buch oder Mr. Norrells Gehässigkeit verantwortlich zu machen sei, darüber gingen die Meinungen auseinander. Die Leute, die ein Exemplar gekauft hatten, waren wütend über den Verlust ihres Buches, und Mr. Norrell verbesserte die Lage nicht, indem er seine Diener mit einer Guinee (so viel kostete das Buch) und einem Brief, in dem er seine Gründe darlegte, warum er das Buch hatte verschwinden lassen, zu ihnen schickte. Viele Leute fühlten sich beleidigter als je zuvor, und einige beauftragten sofort ihre Advokaten, gegen Mr. Norrell vorzugehen. 130
Im September kehrten die Minister von ihren Landsitzen nach London zurück, und selbstverständlich bildete Mr. Norrells außergewöhnliches Vorgehen ein wichtiges Gesprächsthema bei ihrer ersten Zusammenkunft.
»Als wir Mr. Norrell zum ersten Mal damit beauftragten, für uns zu zaubern«, sagte einer, »haben wir ihm damit nicht einen Freibrief dafür ausgestellt, dass seine Zauberei bis in die Häuser der Leute dringen und ihr Eigentum verwandeln darf. In gewisser Hinsicht ist es schade, dass wir diesen Zaubergerichtshof nicht haben, von dem er immer spricht. Wie er heißt er noch?«
»Die Cinque Dragownes«, sagte Sir Walter Pole.
»Ich nehme an, dass er sich irgendeines zauberischen Verbrechens schuldig macht, nicht wahr?«
»Gewiss doch. Aber ich habe keine Ahnung, welchen Verbrechens. John Childermass weiß es wahrscheinlich, aber ich bezweifle, dass er es uns sagen wird.«
»Das ist einerlei. Es stehen bereits mehrere Verfahren gegen ihn vor einem normalen Gericht wegen Diebstahls an.«
»Diebstahl!«, sagte ein anderer Minister überrascht. »Ich empfinde es als schockierend, dass ein Mann, der seinem Land so große Dienste erwiesen hat, wegen eines solch niederen Vergehens angeklagt ist.«
»Warum?«, fragte der Erste. »Er hat es selbst über sich gebracht.«
»Das Problem ist«, sagte Sir Walter, »dass er in dem Augenblick, in dem er sich verteidigen muss, etwas über das Wesen der englischen Zauberei von sich geben wird. Und niemand ist kompetent, mit ihm über dieses Thema zu diskutieren, außer Strange. Ich glaube, wir müssen uns in Geduld üben und warten, bis Strange zurück ist.«
»Das wirft eine weitere Frage auf«, sagte ein anderer Minister. »Es gibt nur zwei Zauberer in England. Wie sollen wir zwischen
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