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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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und beunruhigendste Gespräch in Stranges Leben gewesen. Warum um alles in der Welt war sie der Ansicht, dass die Zauberei in England noch nicht wiederhergestellt war? Und was sollte der Unsinn mit den hundert Jahren? Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass eine Frau, die den größten Teil ihres Lebens in einem widerhallenden Haus tief in einem dunklen Wald verbracht hatte, höchstwahrscheinlich über die Ereignisse in der weiten Welt wenig wusste.
    Er stellte sich wieder zu den Zuschauern an der Mauer. Im Verlauf des nächsten Tanzes kam eine besonders schöne Frau ganz nah an ihm vorbei. Der Kontrast zwischen ihrem schönen Gesicht und ihrer zutiefst unglücklichen Miene sprang ihm sofort in die Augen. Als sie die Hand hob, um sie ihrem Tanzpartner zu reichen, sah er, dass ihr kleiner Finger fehlte.
    Merkwürdig!, dachte er und berührte die Tasche seines Rocks, in der die Dose aus Porzellan und Silber steckte. Vielleicht... Aber er konnte sich keine Abfolge von Ereignissen vorstellen, die dazu geführt hätte, dass ein Zauberer einem Elfen den Finger von jemandem gab, der zum Haushalt des Elfen gehörte. Es ergab keinen Sinn. Vielleicht gibt es keine Verbindung, dachte er.
    Aber die Hand der Frau war so klein und weiß. Er war sicher, dass der Finger in seiner Tasche perfekt an diese Hand passen würde. Er war neugierig und entschlossen, mit ihr zu sprechen und sie zu fragen, wie sie ihren Finger verloren hatte.
    Der Tanz war zu Ende. Sie unterhielt sich mit einer anderen Dame, die ihm den Rücken zuwandte.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er.
    Augenblicklich drehte sich die andere Dame um. Es war Arabella.
    Sie trug ein weißes Kleid mit einem Überkleid aus einem blassblauen, mit Diamanten besetzten Netz. Es glitzerte wie Frost und Schnee und war bei weitem hübscher als alle Kleider, die sie in England besessen hatte. In ihrem Haar steckten Zweige mit winzigen sternförmigen Blüten, und um ihren Hals lag ein schwarzes Samtband.
    Sie schaute ihn mit einem sonderbaren Ausdruck an – ein Ausdruck, in dem sich Überraschung mit Argwohn, Freude mit Ungläubigkeit mischten. »Jonathan! Schauen Sie nur, meine Liebe«, sagte sie zu ihrer Gefährtin. »Es ist Jonathan.«
    »Arabella...«, begann er. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er streckte die Hände nach ihr aus; sie nahm sie nicht. Scheinbar ohne zu wissen, was sie tat, wich sie ein wenig zurück und reichte der ihm unbekannten Frau die Hände, als wäre sie jetzt die Person, an die sie sich um Trost und Unterstützung wandte.
    Die unbekannte Frau gehorchte Arabellas Bitte und blickte zu Strange. »Er sieht aus wie die meisten Männer«, sagte sie kalt. Und dann, als wollte sie die Begegnung damit beenden: »Kommen Sie.« Sie versuchte, Arabella fortzuführen.
    »Oh, warten Sie«, sagte Arabella leise. »Ich glaube, er ist gekommen, um uns zu helfen. Glauben Sie nicht auch, dass es so sein könnte?«
    »Vielleicht«, sagte die unbekannte Frau zweifelnd. Sie schaute wieder zu Strange. »Nein. Ich glaube es nicht. Ich glaube, dass er aus einem ganz anderen Grund gekommen ist.«
    »Ich weiß, dass Sie mich vor falschen Hoffnungen gewarnt haben«, sagte Arabella, »und ich habe versucht, mich daran zu halten. Aber er ist hier! Ich war sicher, dass er mich nicht so schnell vergessen würde.«
    »Dich vergessen!«, rief Strange. »Nein, nie. Arabella, ich...«
    »Sind Sie tatsächlich gekommen, um uns zu helfen?«, fragte die unbekannte Frau und wandte sich plötzlich direkt an Strange.
    »Was?«, sagte Strange. »Nein, ich... Sie müssen verstehen, dass ich bis jetzt nicht wusste... Damit will ich sagen, ich verstehe nicht ganz...«
    Die unbekannte Frau gab einen Laut des Unmuts von sich. »Sind Sie gekommen, um uns zu helfen, oder nicht? Ich denke, das ist eine leicht zu beantwortende Frage.«
    »Nein«, sagte Strange. »Arabella, sprich mit mir, ich bitte dich. Erzähl mir, was ...«
    »Nun? Sehen Sie?«, sagte die unbekannte Frau zu Arabella. »Lassen Sie uns in eine ruhige Ecke gehen, wo uns niemand stört. Ich glaube, ich habe eine leere Bank neben der Tür gesehen.«
    Aber Arabella wollte sich noch nicht fortführen lassen. Sie schaute Strange noch immer auf diese sonderbare Art an; es war, als würde sie ein Bild und nicht den Mann aus Fleisch und Blut betrachten. Sie sagte: »Ich weiß, dass Sie kein großes Vertrauen haben in das, was Menschen erreichen können, aber...«
    »Ich habe überhaupt kein Vertrauen mehr in Menschen«, unterbrach sie

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