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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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meinen Feind zu besiegen, und im Gegenzug werde ich Ihren Namen herausfinden. Ich werde Sie zum König machen!« Seine Stimme war kaum mehr zu hören.
    »Sagen Sie mir, was Sie getan haben«, flüsterte Stephen.
    Aber der Herr schloss die Augen.
    Stephen kniete im Ballsaal und hielt die Hand des Herrn. Die Talgkerzen erloschen; die Schatten schlossen sich um sie.
KAPITEL 56
Der schwarze Turm
3. und 4. Dezember 1816
    Dr. Greysteel schlief und träumte. In seinem Traum rief jemand seinen Namen und verlangte irgendetwas von ihm. Er wollte den Wunsch unbedingt erfüllen, wer immer es war, und ging hierhin und dorthin und suchte nach ihm, aber er fand niemanden, und immer noch rief jemand seinen Namen. Schließlich schlug er die Augen auf.
    »Wer ist da?«, fragte er.
    »Ich bin's, Sir. Frank, Sir.«
    »Was ist?«
    »Mr. Strange ist da. Er möchte mit Ihnen sprechen, Sir.«
    »Stimmt etwas nicht?«
    »Das hat er nicht gesagt, Sir. Aber ich glaube, irgendetwas stimmt bestimmt nicht, Sir.«
    »Wo ist er, Frank?«
    »Er will nicht hereinkommen, Sir. Er ist nicht dazu zu überreden. Er ist draußen, Sir.«
    Dr. Greysteel setzte die Füße auf den Boden und atmete hörbar ein. »Es ist kalt, Frank«, sagte er.
    »Ja, Sir.« Frank half Dr. Greysteel in den Morgenmantel und die Hausschuhe. Sie schlappten durch zahllose dunkle Räume, über große Flächen dunklen Marmorbodens. Im Vestibül brannte eine Lampe. Frank zog die zwei großen gusseisernen Türen auf, nahm die Lampe und trat hinaus. Dr. Greysteel folgte ihm.
    Eine steinerne Treppe führte in die Dunkelheit. Nur der Geruch nach Meer, das Klatschen des Wassers gegen Stein und ein gelegentliches Aufleuchten und eine Bewegung in der Dunkelheit gaben dem Betrachter zu verstehen, dass sich am Fuß der Treppe ein Kanal befand. In ein paar Häusern in der Nähe brannte ein Licht im Fenster oder auf dem Balkon. Ansonsten war es dunkel und still.
    »Hier ist niemand«, sagte Dr. Greysteel. »Wo ist Mr. Strange?«
    Als Antwort deutete Frank nach rechts. Plötzlich leuchtete eine Lampe unter einer Brücke auf, und in ihrem Schein erkannte Dr. Greysteel eine wartende Gondel. Der Gondoliere stakte sein Boot auf sie zu. Als es sich näherte, sah Dr. Greysteel einen Fahrgast. Obwohl Frank ihn angekündigt hatte, brauchte Dr. Greysteel eine Weile, um Strange zu erkennen. »Strange!«, rief er. »Gütiger Gott! Was ist passiert? Ich habe Sie nicht erkannt. Mein... mein... mein lieber Freund.« Dr. Greysteels Zunge stolperte auf der Suche nach einem passenden Wort. Während der letzten Wochen hatte er sich an die Vorstellung gewöhnt, dass er und Strange bald in einer engeren verwandtschaftlichen Beziehung stehen würden. »Kommen Sie herein! Frank, schnell. Hol ein Glas Wein für Mr. Strange.«
    »Nein!«, rief Strange mit einer heiseren, unbekannten Stimme. Er sprach eindringlich mit dem Gondoliere auf Italienisch. Sein Italienisch war wesentlich besser als das von Dr. Greysteel, und Dr. Greysteel verstand ihn nicht, aber bald wurde klar, was Strange gesagt hatte, denn der Gondoliere begann, das Boot wieder wegzustaken.
    »Ich kann nicht hereinkommen!«, rief Strange. »Bitten Sie mich nicht!«
    »Nun gut, aber erzählen Sie mir, was passiert ist.«
    »Ich bin verflucht!«
    »Verflucht? Nein! Sagen Sie das nicht.«
    »Doch. Ich habe mich von Anfang an geirrt. Ich habe dem Mann gesagt, er soll mich etwas weiter wegbringen. Es ist nicht sicher, wenn ich zu nahe an Ihrem Haus bin. Dr. Greysteel! Sie müssen Ihre Tochter fortbringen!«
    »Flora? Warum?«
    »Es ist jemand in der Nähe, der ihr Böses will.«
    »Gütiger Gott!«
    Strange riss die Augen auf. »Es gibt jemanden, der sie an ein Leben immerwährenden Unglücks fesseln will. Sklaverei und Unterwerfung unter einen wilden Geist. Ein uraltes Gefängnis, errichtet aus kaltem Zauber sowie Stein und Erde. Böse, böse! Aber andererseits vielleicht auch nicht ganz so böse – denn er tut ja nichts anderes, als seiner Natur zu folgen. Wie sollte er anders können?«
    Weder Dr. Greysteel noch Frank wurden schlau aus dem Gesagten.
    »Sie sind krank, Sir«, sagte Dr. Greysteel. »Sie haben Fieber. Kommen Sie herein. Frank macht Ihnen etwas Beruhigendes zu trinken, das die bösen Gedanken vertreiben wird. Kommen Sie herein, Mr. Strange.« Er wich auf der Treppe zurück, damit Strange sich nähern konnte, aber Strange bemerkte es nicht.
    »Ich dachte...«, sagte Strange und hielt inne, und zwar so lange, dass es schien, als hätte er

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