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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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die unbekannte Frau. »Ich weiß, was es heißt, Jahre über Jahre auf die falsche Hoffnung zu verschwenden, dass dieser oder jener uns helfen wird. Keine Hoffnung mehr zu haben ist besser als endlose Enttäuschungen.«
    Strange riss der Geduldsfaden. »Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche, Madam«, sagte er zu der unbekannten Frau, »obschon Sie nichts anderes getan haben, als uns zu unterbrechen, seitdem ich hier stehe. Ich fürchte, ich muss darauf dringen, kurz allein mit meiner Frau zu sprechen. Wenn Sie so freundlich sein und sich einen oder zwei Schritte zurückziehen würden...«
    Aber weder sie noch Arabella hörten ihm zu. Sie blickten auf einen Punkt ein wenig rechts von ihm. Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle stand neben ihm.
    Stephen drängte sich durch die Menge der Tänzer. Sein Gespräch mit dem Herrn war überaus beunruhigend gewesen. Der Herr hatte etwas beschlossen, aber je länger Stephen darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass er keine Ahnung hatte, was. »Es ist noch nicht zu spät«, murmelte er vor sich hin, während er sich einen Weg bahnte. »Es ist noch nicht zu spät.« Ein Teil von ihm – die kalte, gleichgültige, verzauberte Hälfte – fragte sich, was er damit meinte. Noch nicht zu spät, um sich selbst zu retten? Um Lady Pole und Mrs. Strange zu retten? Den Zauberer?
    Nie zuvor waren ihm die Reihen der Tänzer so lang erschienen, wie ein Zaun, der ihm den Weg versperrte. Er vermeinte, auf der anderen Seite des Raums wie Distelwolle schimmerndes Haar zu erkennen. »Sir!«, rief er. »Warten Sie! Ich muss noch einmal mit Ihnen sprechen.«
    Das Licht veränderte sich. Die Geräusche der Musik, des Tanzens, der Gespräche verstummten. Stephen sah sich um und erwartete, sich in einer neuen Stadt, auf einem anderen Kontinent wiederzufinden. Aber er war immer noch im großen Saal von Verlorene Hoffnung. Er war leer; die Tänzer und Musiker waren verschwunden. Drei Personen waren übrig geblieben: Stephen und, in einiger Entfernung, der Zauberer und der Herr mit dem Haar wie Distelwolle.
    Der Zauberer rief den Namen seiner Frau. Er lief zu einer dunklen Tür, als hätte er vor, sie im ganzen Haus zu suchen.
    »Warten Sie!«, rief der Herr mit dem Haar wie Distelwolle. Der Zauberer wandte sich um, und Stephen sah, dass sein Gesicht schwarz war vor Zorn, dass sein Mund arbeitete, als würde gleich ein Zauberspruch daraus hervorbrechen.
    Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle hob die Hände. Der große Saal war erfüllt mit einem Schwarm Vögel. Im Nu war er da; im Nu war er verschwunden .
    Die Vögel hatten Stephen mit den Flügeln berührt und ihm den Atem geraubt. Als er sich so weit erholt hatte, dass er den Kopf heben konnte, sah er, dass der Herr mit dem Haar wie Distelwolle die Hände ein zweites Mal hob.
    Der große Saal war erfüllt von fliegenden Blättern. Wintertrocken und braun waren sie, wirbelten im Wind, der aus dem Nirgendwo blies. Im Nu waren sie da; im Nu waren sie verschwunden .
    Der Zauberer schaute wild um sich. Er schien nicht zu wissen, was er angesichts so überwältigender Zauberei tun sollte. Er ist verloren, dachte Stephen.
    Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle hob die Hände ein drittes Mal. Der große Saal war erfüllt von Regen – Regen nicht aus Wasser, sondern Regen aus Blut. Im Nu war er da; im Nu war er verschwunden .
    Der Zauber war vorbei. In diesem Augenblick verschwand der Zauberer, und der Herr mit dem Haar wie Distelwolle fiel zu Boden, als hätte er die Besinnung verloren.
    »Wo ist der Zauberer, Sir?«, rief Stephen und kniete sich neben ihn. »Was ist passiert?«
    »Ich habe ihn zurückgeschickt in die Seekolonie von Altinum«, 150 flüsterte er heiser. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. »Ich habe es getan, Stephen! Ich habe getan, wozu Sie mir geraten haben. Es hat mich meine ganze Kraft gekostet. Meine alten Bündnisse habe ich bis an die äußersten Grenzen strapazieren müssen. Aber ich habe die Welt verändert! Oh, ich habe ihm einen solchen Schlag versetzt. Dunkelheit, Unglück und Einsamkeit. Er kann uns nichts mehr anhaben.« Er versuchte es mit einem triumphierenden Gelächter, aber es wurde ein Husten- und Würgeanfall. Als er sich erholt hatte, nahm er Stephens Hand. »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Stephen. Ich bin ein bisschen müde, das ist alles. Sie sind eine Person von bemerkenswertem Weitblick und Scharfsinn. Von nun an sind wir nicht länger Freunde, wir sind Brüder! Sie haben mir geholfen,

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