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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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versprach. Das Glück war ihm treu, und sofort tat sich ein unauffälliges kleines Tor auf. Er ging hindurch und stand in einem großen grauen Hof. Überall lagen Knochen verstreut, die im Mondlicht weiß schimmerten. Manche Skelette steckten in verrosteten Rüstungen; die Waffen, die sie getötet hatten, ragten noch aus ihren Rippen oder Augenhöhlen.
    Strange war auf den Schlachtfeldern von Badajoz und Waterloo gewesen; ein paar alte Gerippe beunruhigten ihn nicht. Dennoch, es war interessant. Er hatte jetzt wirklich das Gefühl, im Elfenland zu sein.
    Er hegte den starken Verdacht, dass das Haus trotz seiner baufälligen Erscheinung mit einem Zauber belegt war. Er versuchte es noch einmal mit Ormskirks Enthüllung. Augenblicklich veränderte sich das Haus, und er sah, dass es nur teilweise aus Steinen erbaut war. Was zuvor wie Mauern, Pfeiler oder Türme ausgesehen hatte, war jetzt ein großer Erdhügel.
    Es ist ein Brugh! , dachte er in großer Aufregung. 145
    Er trat durch eine niedrige Tür und fand sich in einem riesigen Raum wieder, in dem Leute tanzten. Die Tänzer trugen die schönsten Kleider, aber der Raum befand sich in einem Zustand großen Verfalls. An einer Seite war sogar ein Teil der Mauer eingestürzt und lag als Schutthaufen auf dem Boden. Die Einrichtung war spärlich und schäbig, die Kerzen waren von schlechtester Qualität, und nur ein Violin- und ein Flötenspieler sorgten für die Musik.
    Niemand schien auf Strange zu achten, der sich unter die Zuschauer neben der Mauer mischte und den Tänzern zusah. In vieler Hinsicht war ihm die hier gebotene Unterhaltung vertrauter als zum Beispiel eine Conversazione 146 in Venedig. Das Verhalten der Leute erschien ihm eher englisch, und der Tanz ähnelte den ländlichen Tänzen, die die Damen und Herren von Newcastle bis Penzance jede Woche im Jahr tanzten.
    Ihm ging durch den Sinn, dass er einst gern getanzt hatte, ebenso wie Arabella. Aber nach dem Krieg in Spanien hatte er kaum mehr getanzt, weder mit ihr noch mit jemand anders. Wohin auch immer er in London gegangen war – ob in einen Ballsaal oder in ein Ministerium –, es waren stets zu viele Leute da gewesen, mit denen er über Zauberei hatte sprechen müssen. Er fragte sich, ob Arabella mit anderen Herren getanzt hatte. Er fragte sich, ob er sie danach gefragt hatte. Aber wenn ich daran gedacht habe, sie danach zu fragen, dachte er und seufzte, dann habe ich nicht auf ihre Antworten gehört – ich kann mich nicht daran erinnern.
    »Gütiger Gott, Sir! Was tun Sie hier?«
    Strange drehte sich um, um zu sehen, wer gesprochen hatte. Womit er überhaupt nicht gerechnet hatte, war, dass er als Erstes Sir Walter Poles Butler gegenüberstehen würde. Er erinnerte sich nicht an den Namen des Mannes, obgleich Sir Walter ihn hundertmal in seiner Gegenwart gerufen hatte. Simon? Samuel?
    Der Mann fasste Strange am Arm und schüttelte ihn. Er schien höchst aufgeregt. »Um Gottes willen, Sir, was tun Sie hier? Wissen Sie denn nicht, dass er Sie hasst?«
    Strange öffnete den Mund, um mit einer seiner schlauen Entgegnungen zu antworten, aber dann zögerte er. Wer hasste ihn? Norrell?
    Im Tanzgeschehen wurde der Mann davongetragen. Strange hielt nach ihm Ausschau und entdeckte ihn auf der anderen Seite des Raums. Der Mann starrte Strange zornig an, als wäre er wütend auf ihn, weil er nicht ging.
    Wie merkwürdig, dachte Strange. Aber andererseits sieht es ihnen ähnlich. Sie tun, womit man am wenigsten rechnet. Wahrscheinlich ist es überhaupt nicht Poles Butler. Wahrscheinlich ist es nur ein Elf, der aussieht wie er. Oder ein zauberisches Trugbild. Er begann, sich nach seinem Elfen umzusehen.
    »Stephen! Stephen!«
    »Hier bin ich, Sir.« Stephen wandte sich um und sah, dass der Herr mit dem Haar wie Distelwolle neben ihm stand.
    »Der Zauberer ist da! Er ist hier! Was kann er nur wollen?«
    »Ich weiß es nicht, Sir.«
    »Oh! Er ist gekommen, um mich zu vernichten. Ich weiß es.«
    Stephen staunte. Lange Zeit hatte er geglaubt, dass niemand dem Herrn etwas anhaben konnte. Und doch stand er jetzt neben ihm in einem Zustand größter Angst und größten Schreckens.
    »Aber warum sollte er das wollen, Sir?«, fragte Stephen in beruhigendem Tonfall. »Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass er gekommen ist, um... um seine Frau nach Hause zu holen. Vielleicht sollten wir Mrs. Strange von der Verzauberung befreien und ihr gestatten, mit ihrem Mann nach Hause zurückzukehren? Und auch Lady Pole. Lassen

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