Jonathan Strange & Mr. Norrell
Sie Mrs. Strange und Lady Pole mit dem Zauberer nach England zurückkehren, Sir. Ich bin sicher, dass das seinen Zorn auf Sie besänftigen wird. Ich werde ihn gewiss davon überzeugen können.«
»Was? Wovon sprechen Sie? Mrs. Strange? Nein, nein, Stephen. Da irren Sie sich. Und zwar gewaltig. Er hat unsere liebe Mrs. Strange nicht einmal erwähnt. Sie und ich, Stephen, wir wissen die Gesellschaft dieser Frauen zu schätzen. Er nicht. Er hat sie völlig vergessen. Er hat eine neue Liebste – eine wunderschöne, bezaubernde junge Frau, deren Anwesenheit eines Tages unseren Bällen hoffentlich noch mehr Glanz verleihen wird. Nichts und niemand ist so wankelmütig wie ein Engländer! Glauben Sie mir. Er ist gekommen, um mich zu vernichten! In dem Augenblick, als er mich um Lady Poles Finger bat, wusste ich, dass er viel, viel schlauer ist, als ich gedacht hatte. Raten Sie mir, Stephen. Sie haben jahrelang unter diesen Engländern gelebt. Was soll ich tun? Wie kann ich mich schützen? Wie kann ich solche Bosheit bestrafen?«
In der Benommenheit und Schwerfälligkeit der Verzauberung mühte sich Stephen, klar zu denken. Ihm drohte eine schwere Krise, dessen war er sich sicher. Nie zuvor hatte der Herr ihn so offen um Hilfe gebeten. Er sollte die Situation doch zu seinem Vorteil nutzen können? Aber wie? Und er wusste aus Erfahrung, dass die Stimmungen des Herrn starken Schwankungen unterlagen; er war das quecksilbrigste Wesen der Welt. Das kleinste Wort konnte seine Angst in lodernde Wut und Hass verwandeln – wenn Stephen jetzt etwas Falsches sagte, könnte er, statt sich selbst und die anderen zu befreien, den Herrn dazu treiben, sie alle zu vernichten. Er schaute sich um auf der Suche nach Inspiration.
»Was soll ich tun, Stephen?« Der Herr stöhnte. »Was soll ich bloß tun?«
Etwas erregte Stephens Aufmerksamkeit. Unter einem schwarzen Gewölbebogen stand eine vertraute Gestalt: eine Elfe, stets in einen schwarzen Schleier gehüllt, der von ihrem Kopf bis zu ihren Fingerspitzen reichte. Sie tanzte nie; halb ging sie, halb schwebte sie zwischen den Tänzern und den Zuschauern. Stephen hatte nie beobachtet, dass sie mit jemandem sprach, aber wenn sie an ihm vorüberkam, roch es schwach nach Friedhof, Erde und Leichenhaus. Er konnte sie nie anblicken, ohne zu erschaudern, aber ob sie bösartig, verflucht oder beides war, wusste er nicht.
»Es gibt Menschen auf der Welt«, begann er, »denen das Leben nur eine Bürde ist. Ein schwarzer Schleier befindet sich zwischen ihnen und der Welt. Sie sind vollkommen allein. Sie sind wie Schatten in der Nacht, ausgeschlossen von Freude, Liebe und allen zärtlichen Gefühlen, unfähig, einander zu trösten. Ihre Tage sind erfüllt von Dunkelheit, Unglück und Einsamkeit. Sie wissen, wen ich meine, Sir. Ich... ich spreche nicht von Schuld...« Der Herr starrte ihn entschlossen und konzentriert an. »Aber ich bin sicher, wir können den Zorn des Zauberers von Ihnen abwenden, gäben Sie die Damen frei...«
»Ah!«, rief der Herr, und seine Augen weiteten sich, weil er zu verstehen meinte. Er hob die Hand zum Zeichen, dass Stephen schweigen sollte.
Stephen war sich sicher, dass er zu weit gegangen war. »Verzeihen Sie mir«, flüsterte er.
»Verzeihen?«, sagte der Herr überrascht. »Warum, es gibt nichts zu verzeihen. Seit vielen Jahrhunderten hat niemand mehr so freimütig zu mir gesprochen, und dafür schätze ich Sie. Dunkelheit, ja. Dunkelheit, Unglück und Einsamkeit!« Er drehte sich um und verschwand in der Menge.
Strange amüsierte sich köstlich. Die unheimlichen Unstimmigkeiten des Balls störten ihn nicht im Mindesten; er hatte sie erwartet. Der Saal war, obwohl er so heruntergekommen war, zum Teil ein Trugbild. Mit seinem Zaubererauge sah er, dass sich der Raum zumindest teilweise unter der Erde befand.
In der Nähe stand eine Elfe, die ihn unverwandt anschaute. Sie trug ein Kleid in der Farbe des winterlichen Sonnenuntergangs und einen zierlichen glitzernden Fächer, der besetzt war mit etwas, was Glasperlen hätten sein können, was jedoch mehr Frost auf Laub und den zerbrechlichen Eistropfen an Zweigen ähnelte.
Ein neuer Tanz begann. Niemand schien die Elfe aufzufordern, deswegen lächelte Strange sie einer plötzlichen Eingebung folgend an, verneigte sich und sagte: »Hier ist kaum jemand, der mich kennt. Deshalb kann uns niemand vorstellen. Nichtsdestoweniger, Madam, wäre es mir eine große Ehre, wenn Sie mit mir tanzen würden.«
Sie erwiderte
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