Jonathan Strange & Mr. Norrell
darauf, dass auf das Regal direkt über der Stufe eine Lampe gestellt wurde. Die Lampe brannte Tag und Nacht und war eine ständige Beleidigung für Bonifazia, ein älteres italienisches Dienstmädchen, das zum Haus gehörte und noch sparsamer war als Tante Greysteel.
Bonifazia war ein hervorragendes Dienstmädchen, doch sie neigte zu Kritik und langen Erklärungen, warum die Anweisungen, die sie soeben erhalten hatte, falsch oder nicht ausführbar waren. Sie wurde in ihrer Arbeit von einem langsamen jungen Mann namens Minichello unterstützt, der andere gern ausnutzte und jeden Befehl mit einem leisen brummenden Gemurmel aus unverständlichen Dialektausdrücken kommentierte. Bonifazia behandelte Minichello mit einer Verachtung, die von großer Vertrautheit zeugte, so dass Tante Greysteel annahm, sie seien miteinander verwandt, wenngleich sie in diesem Punkt erst noch genauere Auskünfte einholen musste.
Mit den häuslichen Verrichtungen, dem täglichen Kleinkrieg mit Bonifazia und all den Entdeckungen, angenehmen wie unangenehmen, die einen Aufenthalt in einer neuen Stadt begleiteten, waren Tante Greysteels Tage erfüllt von interessanter Geschäftigkeit; ihre wichtigste und heiligste Pflicht in dieser Zeit war es jedoch, Unterhaltung für Flora zu finden. Flora hatte sich Schweigen und Einsamkeit zur Gewohnheit gemacht. Wenn ihre Tante sie ansprach, dann antwortete sie heiter, doch selten gab es ein Gespräch, das von ihr ausging. In Venedig war es Flora gewesen, die die Initiative zu all ihren Vergnügungen ergriffen hatte; nun fügte sie sich in jedweden Erkundungsvorschlag von Seiten Tante Greysteels. Sie bevorzugte Beschäftigungen, die keine Begleitung erforderten. Sie ging allein spazieren, las allein, saß allein im Wohnzimmer oder im fahlen Sonnenlicht, das gegen ein Uhr bisweilen in den kleinen Hof drang. Sie war weniger offenherzig und zutraulich als zuvor; es war, als habe jemand – nicht unbedingt Jonathan Strange – sie enttäuscht und als sei sie nun entschlossen, in Zukunft unabhängiger zu sein.
In der ersten Februarwoche tobte ein schwerer Sturm über Padua. Er kam mitten am Tag über sie. Der Sturm zog plötzlich aus Osten (aus der Richtung, in der Venedig und das Meer lagen) auf. Die alten Männer, die regelmäßig in den Kaffeehäusern der Stadt saßen, sagten, noch wenige Augenblicke zuvor habe es keine Hinweise darauf gegeben. Doch andere Leute fühlten sich nicht bemüßigt, dieser Beobachtung viel Aufmerksamkeit zu zollen; schließlich war es Winter, und man musste mit Stürmen rechnen.
Erst blies ein starker Wind durch die Stadt. Er scherte sich nicht um Türen oder Fenster, dieser Wind. Er schien Spalten zu finden, von deren Existenz niemand etwas wusste, und blies fast so heftig in den Häusern wie draußen. Tante Greysteel und Flora saßen zusammen in einem kleinen Wohnzimmer im ersten Stock. Die Fensterscheiben begannen zu klappern, und die Kristalle, die am Kronleuchter hingen, begannen zu klimpern. Dann entglitten die Blätter des Briefs, an dem Tante Greysteel gerade saß, ihren Händen und flatterten durch den Raum. Vor den Fenstern verdunkelte sich der Himmel und wurde so schwarz wie die Nacht; dichter Regen fiel in Strömen.
Bonifazia und Minichello betraten das Wohnzimmer. Sie kamen unter dem Vorwand, Tante Greysteels Wünsche hinsichtlich des Sturms zu erfragen, doch in Wirklichkeit wollte Bonifazia sich zu Tante Greysteel gesellen, um sich gemeinsam mit ihr in lauten Ausrufen über die Heftigkeit von Wind und Regen zu wundern (und sie ergaben ein hübsches Duett, trotz der unterschiedlichen Sprachen). Minichello kam wahrscheinlich, weil Bonifazia hier war; er betrachtete den Sturm mit düsterer Miene, als vermutete er, dass er nur zu dem Zweck stattfand, ihm Arbeit zu bescheren.
Tante Greysteel, Bonifazia und Minichello saßen am Fenster und sahen, wie der erste Blitz die vertraute Umgebung in ein ziemlich erschreckendes und verstörendes Bild verwandelte, das voller bleicher und unheimlicher Lichter und unerwarteter Schatten steckte. Ihm folgte ein Donnerschlag, der den ganzen Raum erschütterte. Bonifazia murmelte Fürbitten an die Jungfrau Maria und mehrere Heilige. Tante Greysteel, die gleichermaßen erschrocken war, hätte diese Zuflucht vermutlich ebenso gern in Anspruch genommen, aber als Mitglied der Kirche von England konnte sie nur ausrufen: »Du liebes bisschen!« und »Ojemine!« und »Gott behüte mich!« – nichts davon vermochte ihr viel Trost zu
Weitere Kostenlose Bücher