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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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darum zu kümmern. Als Robert, der Lakai, ihn heute aufgefordert hatte, zu den Hunden mitzukommen, hatte Stephen, statt ihn zu schelten, Hut und Rock genommen und ihn begleitet. Nun sah er zu, wie Robert und die Stallknechte viel Aufhebens um die Hunde machten. Er hatte das Gefühl, als stünde er auf der anderen Seite einer dicken schmutzigen Glasscheibe.
    Plötzlich richteten sich alle Männer auf und begannen, die Ställe auszukehren. Stephen fröstelte. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass ein solch unnatürliches Benehmen immer die Ankunft des Herrn mit dem Haar wie Distelwolle ankündigte.
    Da war er und erhellte die engen dunklen Ställe mit dem Schein seines silbernen Haars, dem Glitzern in seinen blauen Augen und dem Leuchten seines grünen Rocks; laut plaudernd und lachend; nicht einen Moment lang im Zweifel, dass Stephen genauso erfreut war, ihn zu sehen, wie er sich freute, Stephen zu sehen. Er fand den gleichen Gefallen an den Hunden wie die Dienerschaft und wandte sich an Stephen, damit er sie mit ihm bewunderte. Er redete sie in seiner Sprache an, und die Hunde sprangen auf und bellten ihn freudig an; sie schienen sich zu ihm hingezogen zu fühlen wie zu niemandem sonst.
    Der Herr sagte: »Das erinnert mich an eine Begebenheit im Jahr 1413, als ich nach Süden kam, um den neuen König des Südlichen Englands zu besuchen. Der König, ein gütiger und mutiger Mann, stellte mich seinem Hofstaat vor und erzählte von meinen vielen hervorragenden Leistungen, meinen ausgedehnten Königreichen, meinem galanten Wesen etc., etc. Dennoch hatte sich einer seiner Edelmänner entschieden, dieser aufschlussreichen und erhebenden Rede keine Aufmerksamkeit zu schenken. Stattdessen standen er und sein Gefolge plaudernd und lachend beieinander. Ich empfand diese Behandlung – wie Sie sich vorstellen können – als ziemlich beleidigend und beschloss, ihnen bessere Manieren beizubringen. Am nächsten Tag gingen diese ungehobelten Männer in der Nähe von Hatfield Forest auf die Hasenjagd. Ich traf sie alle völlig ahnungslos an und hatte die glückliche Eingebung, die Menschen in Hasen und die Hasen in Menschen zu verwandeln. Zunächst rissen die Jagdhunde ihre Herren in Stücke, und dann befanden sich die Hasen – nun in Gestalt von Menschen – in der Lage, sich an den Jagdhunden, die sie gejagt und gequält hatten, auf grässliche Art zu rächen.« Der Herr hielt inne, um Stephens Lob für diese Heldentat entgegenzunehmen, doch bevor Stephen noch etwas stammeln konnte, rief der Herr aus: »Oh! Haben Sie es bemerkt?«
    »Was bemerkt, Sir?«, fragte Stephen.
    »Alle Türen haben gezittert.«
    Stephen blickte zu den Stalltüren.
    »Nein, nicht diese Türen«, sagte der Herr. »Ich meine die Türen zwischen England und überall sonst. Jemand versucht sie zu öffnen. Jemand sprach zum Himmel, und das war nicht ich! Jemand gibt den Steinen und Flüssen Anweisungen, und das bin nicht ich! Wer tut das? Wer ist es? Kommen Sie!«
    Der Herr ergriff Stephens Arm, und sie schienen in die Luft aufzusteigen, als stünden sie plötzlich auf einem Berg oder auf einem sehr hohen Turm. Der Hinterhof der Harley Street verschwand, und vor Stephens Auge tauchte eine neue Landschaft auf – und dann noch eine und noch eine. Hier war ein Hafen mit vielen Masten, so dicht an dicht, dass sie einem Wald glichen – der Hafen schien unter ihren Füßen fortzufliegen und wurde umgehend durch ein graues winterliches Meer mit Schiffen ersetzt, deren voll gesetzte Segel sich im Wind blähten –, als Nächstes kam eine Stadt mit Türmen und prächtigen Brücken. Merkwürdigerweise spürten sie kaum eine Bewegung. Es fühlte sich eher so an, als flöge die Welt auf Stephen und den Herrn zu, während sie selbst sich nicht bewegten. Nun näherten sich schneebedeckte Berge, auf denen sich winzige Leute abmühten, als Nächstes ein glasartiger See, der von dunklen Gipfeln umgeben war, dann eine ebene Landschaft, auf der winzige Städte und Flüsse verstreut lagen wie Kinderspielzeug.
    Vor ihnen war etwas. Auf den ersten Blick sah es aus wie eine schwarze Linie, die den Himmel in zwei Hälften teilte. Doch beim Näherkommen entpuppte es sich als eine schwarze Säule, die von der Erde emporragte und kein Ende hatte.
    Stephen und der Herr blieben hoch über Venedig stehen (Stephen beschloss, nicht darüber nachzudenken, worauf sie standen). Die Sonne ging unter, und die Straßen und Gebäude unter ihnen waren dunkel, aber das Meer und der Himmel waren

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