Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
irgendein Geschöpf in dieser immerwährenden Nacht zurückzulassen.«
    Eine Weile später verließen die Dienstboten Hurtfew (keiner konnte angeben, wie viel später, da ihre Taschenuhren wie alle anderen Uhren auf Mitternacht standen). Mit Körben oder Reisetaschen über dem Arm oder Rucksäcken auf dem Rücken führten sie die Pferde am Halfter. Auch zwei Esel und eine Ziege waren dabei, die immer in den Ställen gelebt hatten, weil die Pferde ihre Gesellschaft schätzten. Lascelles folgte in einiger Entfernung; er wollte nicht als diesem Hinz-und-Kunz-Zug zugehörig erscheinen, aber ebenso wenig wollte er allein im Haus zurückbleiben.
    Zehn Schritte vor dem Fluss traten sie aus der Dunkelheit in die Dämmerung. Plötzlich war die Luft von Gerüchen erfüllt – dem Geruch nach Frost, winterlicher Erde und dem Geruch des nahen Flusses. Die Farben und Formen des Parks wirkten klar, als wäre England während der Nacht neu erschaffen worden. Den armen Dienstboten, die ihre Zweifel gehabt hatten, ob sie jemals wieder etwas anderes als Dunkelheit und Sterne sehen würden, war dieser Anblick überaus willkommen.
    Ihre Taschenuhren liefen wieder und zeigten – nach einem allgemeinen Vergleich – auf Viertel vor acht.
    Aber die beunruhigenden Begebenheiten dieses Abends waren noch nicht vorbei. Zwei Brücken führten jetzt über den Fluss, wo zuvor nur eine gewesen war.
    Lascelles eilte auf sie zu. »Was ist das?«, fragte er und deutete auf die neue Brücke.
    Ein alter Diener – ein Mann mit einem Bart, der wie eine weiße Miniaturwolke an seiner Kinnspitze klebte – erklärte, dass es eine Elfenbrücke sei. Er habe sie in seiner Jugend gesehen. Sie war vor langer Zeit errichtet worden, als John Uskglass noch in Yorkshire regierte. Und zu Zeiten von Mr. Norrells Onkel war sie verfallen und abgetragen worden.
    »Und doch ist sie jetzt wieder da«, sagte Lucas und schauderte.
    »Und was befindet sich auf der anderen Seite?«, fragte Lascelles.
    Der alte Dienstbote erklärte, dass sie einst über mehrere seltsame Orte nach Northallerton geführt habe.
    »Trifft sie auf die Straße, die wir in der Nähe des Roten Hauses gesehen haben?«, fragte Lascelles.
    Der alte Dienstbote schüttelte den Kopf. Er wusste es nicht.
    Lucas verlor allmählich die Geduld. Er wollte fort von hier. »Elfenwege sind nicht wie die Straßen der Christenmenschen«, sagte er. »Häufig führen sie nicht dorthin, wohin sie eigentlich führen sollten. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Niemand wird auch nur einen Fuß auf dieses böse Ding setzen.«
    »Danke«, sagte Lascelles, »aber ich glaube, das werde ich selbst entscheiden.« Er zögerte einen Augenblick und schritt dann auf die Elfenbrücke zu.
    Mehrere Dienstboten riefen ihm zu, er solle zurückkommen.
    »Ach, lasst ihn gehen!«, sagte Lucas und fasste den Korb fester, in dem sich seine Katze befand. »Soll er verdammt sein, wenn er will. Gewiss verdient es niemand mehr als er.« Er warf Lascelles einen letzten, reichlich geringschätzigen Blick zu und folgte den anderen in den Park.
    Hinter ihnen ragte die schwarze Säule in den grauen Himmel von Yorkshire empor. Ihr Ende war nicht zu sehen.
    Zwanzig Meilen entfernt ritt Childermass über die Packpferdbrücke, die in das Dorf Starecross führte. Er ritt durch das Dorf und zu Starecross Hall und stieg ab.
    »He! He!« Er hämmerte mit seiner Peitsche gegen die Tür, rief und trat mehrmals kräftig gegen das Holz.
    Zwei Diener erschienen. Das Geschrei und die Schläge hatten sie zur Genüge beunruhigt, aber als sie die Kerze hochhielten und die wild um sich blickende, mörderische Gestalt mit dem Messerschnitt im Gesicht und dem blutigen Hemd sahen, waren sie keineswegs erleichtert.
    »Steht nicht mit offenem Mund herum!«, fuhr er sie an. »Geht und holt euren Herrn. Er kennt mich.«
    Nach zehn Minuten erschien Mr. Segundus in einem Morgenmantel. Childermass, der ungeduldig im Flur neben der Tür wartete, sah, dass seine Augen geschlossen waren und ein Diener ihn an der Hand führte. Er schien blind geworden zu sein. Nachdem der Diener ihn vor Childermass abgestellt hatte, öffnete er die Augen.
    »Gütiger Gott, Mr. Childermass!«, rief er. »Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?«
    »Jemand hat es mit einer Orange verwechselt. Und Sie, Sir? Was ist Ihnen zugestoßen? Waren Sie krank?«
    »Nein.« Mr. Segundus blickte verlegen drein. »Es liegt an der beständigen Nähe starker Zauberei. Mir war nicht klar, was für einen schwächenden

Weitere Kostenlose Bücher