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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Einfluss sie ausübt. Auf eine Person, die dafür empfänglich ist, meine ich. Die Dienstboten spüren Gott sei Dank überhaupt nichts davon.«
    Er hatte etwas merkwürdig Substanzloses. Er wirkte wie auf Luft gemalt. Der leiseste Zug aus dem Fenster verdrehte sein Haar zu Korkenzieher- und Schnörkellocken, als hätte es kein Gewicht.
    »Ich nehme an, dass Sie deswegen gekommen sind«, fuhr er fort. »Aber Sie sollten Mr. Norrell ausrichten, dass ich nichts weiter getan habe, als die Begebenheiten zu studieren, die sich boten. Ich gebe zu, mir ein paar Notizen gemacht zu haben. Aber er hat wirklich keinen Grund, sich zu beschweren.«
    »Was für Zauberei?«, fragte Childermass. »Wovon sprechen Sie? Wegen Mr. Norrell brauchen Sie sich nicht länger zu sorgen. Er hat eigene Schwierigkeiten und weiß nicht, dass ich hier bin. Was haben Sie getan, Mr. Segundus?«
    »Nur beobachtet und meine Beobachtungen notiert – wie es ein Zauberer tun sollte.« Mr. Segundus beugte sich beflissen vor. »Und ich bin zu überraschenden Schlussfolgerungen hinsichtlich Lady Poles Krankheit gekommen!«
    »Ja?«
    »Meiner Meinung nach ist es kein Wahnsinn. Es ist Zauberei!« Mr. Segundus wartete, dass Childermass staunte. Er schien ein wenig enttäuscht, als Childermass nur nickte.
    »Ich habe etwas, was Ihrer Ladyschaft gehört«, sagte Childermass. »Etwas, was ihr seit langem fehlt. Deshalb bitte ich Sie, so freundlich zu sein und mich zu ihr zu führen.«
    »Oh, aber...«
    »Ich will ihr nichts Böses, Mr. Segundus. Und ich glaube, dass ich ihr sogar etwas Gutes tun kann. Ich schwöre es bei Vogel und Buch. Bei Vogel und Buch.« 169
    »Ich kann Sie nicht zu ihr führen«, sagte Mr. Segundus. Er hob die Hand, um Childermass' Einwänden zuvorzukommen. »Das heißt nicht, dass ich es nicht will. Das heißt, ich kann es nicht. Charles wird uns zu ihr bringen.« Er deutete auf den Diener an seiner Seite.
    Das schien reichlich exzentrisch, aber Childermass war nicht in der Stimmung, mit ihm zu diskutieren. Mr. Segundus griff nach Charles' Arm und schloss die Augen.
    Hinter den Fluren aus Stein und Eiche von Starecross Hall flackerte das Bild eines anderen Hauses auf. Childermass sah hohe Korridore, die sich bis in unermessliche Entfernungen erstreckten. Es war, als hätte jemand zwei durchscheinende Bilder zur gleichen Zeit in eine Laterna magica gesteckt, so dass ein Bild das andere überlagerte. Der Eindruck, gleichzeitig durch zwei Häuser zu gehen, verursachte ihm rasch das Gefühl, seekrank zu sein. Er war verwirrt, und wäre er allein gewesen, hätte er bald nicht mehr gewusst, welche Richtung er einschlagen sollte. Er wusste nicht, ob er ging oder fiel, ob er eine Stufe oder eine unwahrscheinlich lange Treppe hinaufstieg. Bisweilen schien ihm, er würde über eine riesige Fläche von Steinplatten gleiten, während er zugleich kaum vorwärts kam. Sein Kopf drehte sich und ihm war schlecht.
    »Halt! Halt!«, rief er und sank mit geschlossenen Augen zu Boden.
    »Es wirkt heftig auf Sie«, sagte Mr. Segundus. »Heftiger noch als auf mich. Schließen Sie die Augen und halten Sie sich an meinem Arm fest. Charles wird uns beide führen.«
    Sie gingen mit geschlossenen Augen weiter. Charles führte sie nach rechts und eine Treppe hinauf. Oben an der Treppe unterhielt sich Mr. Segundus murmelnd mit jemandem. Charles zog Childermass weiter. Childermass hatte den Eindruck, ein Zimmer zu betreten. Es roch nach sauberer Wäsche und getrockneten Rosen.
    »Ist das die Person, die ich empfangen soll?«, sagte eine Frauenstimme. Sie klang sonderbar, als käme sie von zwei Orten gleichzeitig, als hätte sie ein Echo. »Aber ich kenne ihn! Er ist der Diener des Zauberers! Er ist...«
    »Ich bin derjenige, auf den Ihre Ladyschaft geschossen hat«, sagte Childermass und öffnete die Augen.
    Er erblickte nicht eine Frau, sondern zwei – oder vielleicht wäre es korrekter zu sagen, er sah dieselbe Frau doppelt. Beide saßen in derselben Haltung da und schauten zu ihm auf. Sie nahmen denselben Platz ein, so dass er das gleiche Schwindel erregende Gefühl hatte wie zuvor, als er durch die Korridore gegangen war.
    Eine Version von Lady Pole saß in dem Haus in Yorkshire; sie trug einen elfenbeinfarbenen Morgenmantel und sah ihn gelassen und gleichgültig an. Die andere Version war vager, gespenstischer. Sie saß in dem düsteren, labyrinthhaften Haus und trug ein blutrotes Abendkleid. In ihrem dunklen Haar funkelten Juwelen oder Sterne, und sie betrachtete

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