Jonathan Strange & Mr. Norrell
Herr war höchst schadenfroh, voller Vorfreude auf die Hinrichtung. »Kannst du tanzen, Schurke?«, fragte er Vinculus. »Ich werde dir ein paar neue Schritte beibringen!«
Die Welt wurde zu einem Albtraum. Alles geschah schnell und übergangslos, und Stephen fand nie den richtigen Augenblick, um einzuschreiten, oder die richtigen Worte. Und Vinculus selbst verhielt sich während seiner Hinrichtung höchst merkwürdig. Er schien zu keinem Zeitpunkt zu begreifen, was mit ihm geschah. Er sagte kein Wort mehr, aber er gab mehrmals Laute des Unmuts von sich, als müsste er ernsthafte Unannehmlichkeiten auf sich nehmen, die ihm die Laune verdarben.
Scheinbar ohne Mühe packte der Herr Vinculus und stellte ihn unter die Schlinge. Die Schlinge schlang sich selbsttätig um seinen Hals und zog ihn mit einem Ruck in die Luft; gleichzeitig löste sich das andere Seil von seinem Körper und fiel zu Boden.
Vinculus trat mit den Füßen in der Luft; sein Körper zuckte und wand sich. Obschon er damit geprahlt hatte, dass er schwer umzubringen sei, brach sein Genick ganz leicht – das schnappende Geräusch war auf dem leeren Moor deutlich zu hören. Noch ein, zwei Zuckungen, und er war am Ende.
Stephen vergaß seinen Entschluss, alle Engländer zu hassen, bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte.
Der Herr tanzte um den Baum und sang wie ein Kind, das sich über irgendetwas ausgelassen freut; und als er damit fertig war, sagte er beiläufig: »Nun, das war enttäuschend. Er hat sich überhaupt nicht gewehrt. Ich frage mich, wer er war.«
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, Sir«, sagte Stephen und wischte sich die Augen. »Er war der Mann, der mir die Prophezeiung vorgetragen hat. Sein Körper ist seltsam entstellt. Wie eine Schrift.«
Der Herr zog Vinculus' Rock, Hemd und Halstuch aus. »Ja, da ist sie«, sagte er ein wenig überrascht. Er kratzte mit dem Fingernagel an einem kleinen Kreis auf Vinculus' rechter Schulter, um zu überprüfen, ob er abging. Da er das nicht tat, verlor er das Interesse.
»Nun!«, sagte er. »Machen wir uns auf und verzaubern Lady Pole.«
»Verzaubern, Sir!«, sagte Stephen. »Aber warum sollten wir das tun wollen?«
»Ach, damit sie in ein, zwei Monaten stirbt. Abgesehen von allem anderen ist das Tradition. Es geschieht nur selten, dass jemand, der von einem Zauber befreit wurde, lange leben darf – und schon gar nicht, wenn ich sie verzaubert habe! Lady Pole ist nicht weit weg, und den Zauberern muss ich die Lehre erteilen, dass sie sich uns nicht ungestraft widersetzen können. Kommen Sie, Stephen!«
KAPITEL 66
Jonathan Strange und Mr. Norrell
Mitte Februar 1817
Mr. Norrell drehte sich um und blickte den Flur entlang, der einst die Bibliothek mit dem Rest des Hauses verbunden hatte. Wenn er irgendeine Zuversicht gehabt hätte, dass er ihn zu Lascelles und den Dienstboten hätte zurückführen können, wäre er umgekehrt. Aber er war sich sicher, dass Stranges Zauber ihn einfach wieder zu dieser Stelle bringen würde.
Er hörte einen Laut aus der Bibliothek und zuckte erschrocken zusammen. Er wartete, aber niemand kam. Nach einer Weile wurde ihm klar, dass er wusste, was das Geräusch bedeutete. Er hatte es schon tausendmal gehört – es war ein Laut des Unmuts, den Strange über einem Buch ausstieß. Es war ein so vertrauter Laut – und für Mr. Norrell so eng verbunden mit der glücklichsten Zeit seines Lebens –, dass er den Mut fand, die Tür zu öffnen und einzutreten.
Das Erste, was ihm auffiel, war die ungeheure Menge von brennenden Kerzen. Der Raum war in Licht getaucht. Strange hatte sich nicht die Mühe gemacht, nach Kerzenständern zu suchen; er hatte die Kerzen einfach auf Tische und Bücherschränke gestellt – und auf Bücherstapel. Die Bibliothek konnte jeden Augenblick in Flammen aufgehen. Überall lagen Bücher – auf den Tischen, auf dem Boden, viele davon aufgeschlagen und verkehrt herum, damit Strange sogleich eine interessante Stelle wiederfinden würde.
Strange stand am anderen Ende des Zimmers. Er war wesentlich schlanker, als Mr. Norrell ihn in Erinnerung hatte. Er war nachlässig rasiert, sein Haar zerzaust. Er blickte nicht auf, als Mr. Norrell eintrat.
»Sieben Menschen aus Norwich 1124«, las er aus dem Buch in seiner Hand vor. »Vier aus Aysgarth in Yorkshire an Weihnachten 1151, dreiundzwanzig aus Exeter 1201, einer aus Hathersage in Derbyshire 1243 – alle verzaubert und ins Elfenland entführt. Es war ein Problem, das er nie gelöst hat.«
Er
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