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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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sprach so ruhig, dass Mr. Norrell – der jeden Augenblick damit rechnete, dass ihn ein zauberischer Blitz traf – sich umschaute, ob sich noch jemand im Raum aufhielt. »Wie bitte?«, sagte er.
    »John Uskglass«, sagte Strange, der sich immer noch nicht umdrehte. »Er konnte nicht verhindern, dass Elfen Christenmenschen entführten. Warum sollte ich annehmen, dass ich etwas kann, wozu er nicht in der Lage war?« Er las ein Stück weiter. »Ihr Labyrinth gefällt mir«, sagte er beiläufig. »Haben Sie Hickman benutzt?«
    »Was? Nein. De Chepe.«
    »De Chepe! Wirklich?« Zum ersten Mal sah Strange seinen Lehrer direkt an. »Ich habe ihn immer für einen überaus minderen Gelehrten ohne eigene originelle Ideen gehalten.«
    »Er war noch nie nach dem Geschmack von Leuten, die die effekthascherische Art von Zauberei mögen«, sagte Mr. Norrell nervös und unsicher, wie lange Stranges gelassene Stimmung andauern würde. »Er interessierte sich für Labyrinthe, Zauberwege, Zauber, die wirken, wenn man bestimmte Schritte und Wendungen unternimmt – solche Sachen. Eine lange Beschreibung seiner Zauberei findet sich in Belasis' Instruktionen ...« Er hielt kurz inne. »... die Sie nie gesehen haben. Das einzige Exemplar davon ist hier. Im dritten Schrank neben dem Fenster.« Er deutete darauf und sah, dass das fragliche Fach leer war. »Oder vielleicht auf dem Boden. In dem Stapel.«
    »Ich werde gleich nachsehen«, sagte Strange.
    »Ihr Labyrinth war auch bemerkenswert«, sagte Mr. Norrell. »Den halben Abend habe ich versucht, daraus zu entkommen.«
    »Ach, ich habe getan, was ich unter diesen Umständen immer tue«, sagte Strange unbekümmert. »Ich habe Sie nachgeahmt und etwas verfeinert. Seit wann dauert sie an?«
    »Wie bitte?«
    »Seit wann befinde ich mich in der Dunkelheit?«
    »Seit Anfang Dezember.«
    »Und was für einen Monat haben wir jetzt?«
    »Februar.«
    »Drei Monate!«, rief Strange. »Drei Monate! Ich dachte, es wären Jahre!«
    Mr. Norrell hatte sich dieses Gespräch viele Male vorgestellt. Jedes Mal war Strange wütend und rachsüchtig gewesen, und er selbst hatte sich mit starken Argumenten gerechtfertigt. Aber jetzt, da sie einander gegenüberstanden, verwirrte ihn Stranges Unbeschwertheit völlig. Die fernen Schmerzen erwachten, die Mr. Norrell seit langem in seiner kleinen eingeschrumpften Seele spürte. Krallen wuchsen ihnen und kratzten an ihm. Seine Hände begannen zu zittern.
    »Ich war Ihr Feind«, brach es aus ihm heraus. »Ich habe Ihr Buch zerstört – alle Exemplare außer meinem eigenen. Ich habe Sie verleumdet und mich gegen Sie verschworen. Lascelles und Drawlight haben allen erzählt, dass Sie Ihre Frau umgebracht haben. Und ich habe die Leute in dem Glauben gelassen.«
    »Ja«, sagte Strange.
    »Aber das sind schreckliche Verbrechen. Warum sind Sie nicht wütend?«
    Strange schien einzuräumen, dass es sich um eine berechtigte Frage handelte. Er dachte einen Augenblick nach. »Ich nehme an, es liegt daran, dass ich vieles war, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Ich war Bäume und Flüsse und Hügel und Steine. Ich habe mit den Sternen, der Erde und dem Wind gesprochen. Man kann nicht das Gefäß sein, durch das die gesamte englische Zauberei fließt, und man selbst bleiben. Ich wäre wütend geworden, sagen Sie?«
    Mr. Norrell nickte.
    Strange lächelte sein altes ironisches Lächeln. »Dann seien Sie getröstet. Ich werde wütend werden. Zur rechten Zeit.«
    »Und Sie haben all das getan, nur um meine Pläne zu durchkreuzen?«, fragte Mr. Norrell.
    »Ihre Pläne zu durchkreuzen?«, sagte Strange erstaunt. »Nein! Ich habe es getan, um meine Frau zu retten!«
    Es folgte ein kurzes Schweigen, und währenddessen konnte Mr. Norrell Strange nicht in die Augen blicken. »Was wollen Sie von mir?«, fragte er leise.
    »Was ich immer von Ihnen wollte – Ihre Hilfe.«
    »Um den Zauber zu brechen?«
    »Ja.«
    Mr. Norrell dachte einen Augenblick nach. »Der hundertste Jahrestag der Verzauberung ist oft ein günstiger Zeitpunkt«, sagte er. »Es gibt mehrere Rituale und Prozeduren ...«
    »Danke«, sagte Strange mit mehr als nur einer Spur seines alten Sarkasmus in der Stimme, »aber ich hatte auf etwas gehofft, was ein bisschen früher wirken würde.«
    »Der Tod des Verzauberers setzt allen Vereinbarungen und Verzauberungen ein Ende, aber...«
    »Ah ja. Genau«, unterbrach ihn Strange interessiert. »Der Tod des Verzauberers! Darüber habe ich in Venedig oft nachgedacht. Mit der

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