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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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sah? Ich kann es kaum glauben. Das kommt völlig unerwartet.«
    »Oh! Ganz im Gegenteil«, sagte Drawlight. »Nichts war wahrscheinlicher.«
    »Aber die Hochzeit«, sagte Mr. Norrell. »All die unerlässlichen Vorbereitungen. Sie können nicht gewusst haben, wie krank sie war.«
    »Ich versichere Ihnen«, sagte Drawlight, »sie wussten es. Jeder wusste es. Ein Mann namens Drummond hat sie Weihnachten auf einem Hausball in Leamington Spa gesehen und mit Lord Carlisle um fünfzig Pfund gewettet, dass sie innerhalb eines Monats sterben würde.«
    Mr. Lascelles gab einen Unmutslaut von sich und ließ die Zeitung sinken. »Nein, nein«, sagte er. »Das war nicht Miss Wintertowne. Sie denken an Miss Hookham-Nix, deren Bruder ihr androhte, er werde sie erschießen, sollte sie die Ehre der Familie verletzen – wobei jeder wusste, dass sie es früher oder später ohnehin tun würde. Aber das spielte sich in Worthing ab – und es war nicht Lord Carlisle, der die Wette annahm, sondern der Herzog von Exmoor.«
    Drawlight bedachte das einen Moment. »Ich glaube, Sie haben Recht«, sagte er schließlich. »Aber das tut nichts zur Sache, denn trotzdem wusste jedermann, dass Miss Wintertowne krank war. Natürlich mit Ausnahme der alten Dame. Für sie stellte ihre Tochter Vollkommenheit dar – und was hat Vollkommenheit schon mit Krankheit zu tun? Vollkommenheit kann man nur bewundern; Vollkommenheit muss nur gut einheiraten. Aber die alte Dame gestand sich nie ein, dass Vollkommenheit vielleicht krank war – sie konnte es nicht ertragen, wenn das Thema erwähnt wurde. Obgleich Miss Wintertowne ständig hustete, ohnmächtig zu Boden oder erschöpft auf das Sofa sank, hat man, soviel ich weiß, keinen Arzt an sie herangelassen.«
    »Sir Walter hätte sich besser um sie gekümmert«, sagte Lascelles und schüttelte die Zeitung kurz aus, bevor er sich erneut der Lektüre zuwandte. »Man kann über seine Politik sagen, was man will, aber er ist ein vernünftiger Mann. Ein Jammer, dass sie nicht bis Donnerstag durchgehalten hat.«
    »Aber Mr. Norrell«, sagte Drawlight und wandte sich an ihren gemeinsamen Freund, »Sie sehen ganz blass und krank aus. Sie scheinen angesichts eines jäh beendeten jungen und unschuldigen Lebens unter Schock zu stehen. Ihre hehren Gefühle in allen Ehren, Sir – und mir geht es genauso wie Ihnen: der Gedanke an die junge Dame, deren Existenz wie eine liebliche Blume von irgendjemandes Stiefel zerdrückt wurde –, nun, Sir, das schneidet wie ein Messer in mein Herz, ich ertrage den Gedanken kaum. Aber wissen Sie, schließlich war sie sehr krank und musste früher oder später sterben – und Ihren Berichten zufolge war sie nicht sehr freundlich zu Ihnen . Ich weiß, dass man heutzutage so etwas nicht mehr sagt, aber ich bin der Welt strengster Verfechter der Auffassung, dass junge Leute älteren gebildeten Personen wie Ihnen respektvolle Aufmerksamkeit schulden. Unverschämtheit, Frechheit und dergleichen mehr hasse ich.«
    Doch Mr. Norrell schien den Trost, den sein Bekannter ihm freundlicherweise gespendet hatte, nicht gehört zu haben. Als er schließlich etwas sagte, klang es, als spräche er zu sich selbst, denn er seufzte tief und murmelte: »Ich hätte nicht gedacht, dass die Zauberei hier so wenig geschätzt wird.« Er hielt inne und sagte dann schnell und leise: »Es ist eine äußerst gefährliche Angelegenheit, jemanden von den Toten zurückzuholen. Das wurde in den letzten dreihundert Jahren nicht mehr gemacht. Ich darf es nicht versuchen.«
    Dies war höchst ungewöhnlich, und Mr. Drawlight und Mr. Lascelles wandten sich überrascht ihrem Freund zu.
    »In der Tat, Sir«, sagte Mr. Drawlight. »Und so etwas würde Ihnen auch niemand vorschlagen.«
    »Natürlich kenne ich die Formel dafür«, fuhr Mr. Norrell fort, als hätte Drawlight nichts gesagt, »aber es handelt sich genau um die Art der Zauberei, gegen die ich mich immer gewandt habe. So viel hängt von... So viel hängt... Das heißt, das Ergebnis muss völlig offen sein. Jenseits der Macht des Zauberers, den Ausgang zu bestimmen. Nein! Ich darf es nicht versuchen. Ich darf nicht einmal darüber nachdenken.«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Doch trotz des Entschlusses des Zauberers, nicht mehr über die gefährliche Zauberei nachzudenken, rutschte er in seinem Sessel hin und her, kaute auf den Fingernägeln, atmete heftig und legte weitere Anzeichen nervöser Aufgeregtheit an den Tag.
    »Mein lieber Mr. Norrell«, sagte Drawlight

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