Jonathan Strange & Mr. Norrell
Seine kalten blauen Augen funkelten, und er hatte lange dunkle Brauen, deren Enden schwungvoll nach oben zeigten. Er war gekleidet wie jeder andere Gentleman auch, abgesehen davon, dass sein Rock von dem leuchtendsten Grün war, das man sich vorstellen konnte – die Farbe von Blättern im Frühsommer.
»O Lar!« , begann Mr. Norrell mit zitternder Stimme. »O Lar! Magnum opus est mihi tuo auxilio. Haec virgo mortua est et familia eius eam vitae instauratam vult 19 .« Mr. Norrell deutete auf die Gestalt auf dem Bett.
Beim Anblick von Miss Wintertowne wurde der Herr mit dem Haar wie Distelwolle plötzlich sehr aufgeregt. Er breitete die Hände in einer Geste freudiger Überraschung aus und begann, schnell auf Lateinisch zu sprechen. Mr. Norrell, der es gewohnt war, Latein geschrieben oder in Büchern gedruckt zu sehen, merkte, dass er nicht folgen konnte, wenn so schnell gesprochen wurde, auch wenn er hier und da einige Wörter erkannte, Wörter wie »formosa« und »venusta«, die weibliche Schönheit beschreiben.
Mr. Norrell wartete, bis sich die Hingerissenheit des Herrn gelegt hatte, und lenkte dessen Aufmerksamkeit dann auf den Spiegel über dem Kaminsims. Dort erschien eine Vision von Miss Wintertowne, die ganz allein auf einem steinigen Pfad durch eine düstere Gebirgslandschaft wandelte. »Ecce mortua inter terram et caelum!« , deklamierte Mr. Norrell. »Scito igitur, O Lar, me ad hanc magnam operam te volare voluisse quia... 20 «
»Ja, ja!«, rief der Herr, der plötzlich ins Englische verfallen war. »Sie haben sich entschieden, mich auszuwählen, denn mit meiner genialen Begabung zur Zauberei übertreffe ich sämtliche anderen Mitglieder meiner Art. Denn ich war Diener und enger Vertrauter von Thomas Godbless, Ralph Stokesey, Martin Pale und dem Rabenkönig. Denn ich bin so tapfer, so ritterlich, so großzügig und so gut aussehend, wie der Tag lang ist! Das alles versteht sich von selbst. Es wäre verrückt gewesen, jemand anderen auszuwählen. Wir wissen beide, wer ich bin. Die Frage ist: Wer um alles in der Welt sind Sie?«
»Ich?«, sagte Mr. Norrell erschrocken. »Ich bin der größte Zauberer des Zeitalters!«
Der Herr hob eine Augenbraue, wie um zu sagen, dass er überrascht war, dies zu hören. Er ging langsam um Mr. Norrell herum und betrachtete ihn aus jedem Blickwinkel. Am beunruhigendsten schließlich war, dass er Mr. Norrell die Perücke vom Kopf riss und nachsah, was sich darunter verbarg, so, als wäre Mr. Norrell ein Kochtopf auf dem Feuer und er wolle schauen, was es zum Abendessen gäbe.
»Ich ... Ich bin der Mann, der auserwählt wurde, England die Zauberei zurückzugeben«, stammelte Mr. Norrell, während er seine Perücke packte und sie sich, etwas schief, wieder auf den Kopf setzte.
»Nun, offensichtlich sind Sie das« , sagte der Herr, »sonst wäre ich nicht hier. Sie glauben doch nicht, ich würde meine Zeit mit einem billigen Taschenspieler vergeuden, oder? Aber wer sind Sie? Das möchte ich gern wissen. Welche Art von Zauberei haben Sie betrieben? Wer war Ihr Lehrer? Welche Zauberländer haben Sie besucht? Welche Feinde haben Sie bekämpft? Wer sind Ihre Verbündeten?«
Mr. Norrell war äußerst überrascht ob der zahlreichen Fragen, und er war nicht im Geringsten darauf vorbereitet, sie zu beantworten. Er schwankte und zögerte, bevor er sich an den beiden festhielt, auf die er eine vernünftige Antwort hatte. »Ich hatte keinen Lehrer. Ich habe mir alles selbst beigebracht.«
»Wie denn?«
»Aus Büchern.«
»Aus Büchern?« (Im Ton äußerster Geringschätzung.)
»Jawohl. Heute findet man eine Menge Zauberei in Büchern. Natürlich ist das meiste davon Unsinn. Keiner weiß so gut wie ich, wie viel Unsinn in Büchern gedruckt steht. Aber man findet dort auch eine Menge nützlicher Informationen, und es ist erstaunlich, dass man, wenn man ein bisschen gelernt hat, anfängt zu sehen...«
Mr. Norrell erwärmte sich für sein Thema, doch der Herr mit dem Haar wie Distelwolle hatte nicht die Geduld, anderen Leuten zuzuhören, und unterbrach ihn.
»Bin ich das erste Mitglied meiner Art, das Sie sehen?«
»O ja!«
Diese Antwort schien dem Herrn mit dem Haar wie Distelwolle zu gefallen, und er lächelte. »So. Sollte ich mich bereit erklären, diese junge Frau ins Leben zurückzurufen – wie sähe dann meine Belohnung aus?«
Mr. Norrell räusperte sich. »Woran hättest du ...?«, fragte er mit etwas heiserer Stimme.
»Ach, darüber kann man sich schnell
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