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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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verlegenes Lachen (dies war bereits ziemlich merkwürdig – Drawlight war nicht so einfach in Verlegenheit zu bringen). Er ließ ihre Hände nicht los, doch er schaute sich im Zimmer um, als suchte er jemanden, der ihm aus einer Peinlichkeit helfen könnte. Dann hob er eine ihrer Hände und hielt sie ihr vors Gesicht. Sie schien nicht im Geringsten erschrocken über das, was sie erblickte, aber sie machte einen überraschten Eindruck; sie hob die Hand, damit ihre Mutter sie sehen konnte.
    Der kleine Finger ihrer linken Hand fehlte.
KAPITEL 9
Lady Pole
Oktober 1807
    Es wurde einmal (von einer Dame, die unendlich viel klüger war als die Verfasserin) bemerkt, wie stark die Welt normalerweise an jungen Leuten Anteil nimmt, die sterben oder heiraten. Stellen Sie sich also das Interesse vor, dass Miss Wintertowne nun entgegengebracht wurde. Keiner jungen Dame vor ihr wurden solche Privilegien zuteil: Sie starb am Dienstag, wurde in den frühen Morgenstunden des Mittwoch ins Leben zurückgerufen und heiratete am Donnerstag; einige Leute befanden, dies sei zu viel Aufregung für eine einzige Woche.
    Der Wunsch, sie zu sehen, war allumfassend. Die Kenntnis der meisten Leute beschränkte sich auf die Tatsache, dass sie auf dem Weg von einer Welt in die andere und wieder zurück einen Finger verloren hatte. Das war quälend wenig; war sie sonst irgendwie verändert? Das wusste niemand.
    Am Mittwochmorgen (also dem Morgen, der ihrer glücklichen Wiederbelebung folgte) schienen sich sämtliche an diesem wunderbaren Abenteuer Beteiligte verschworen zu haben, der Stadt die Neuigkeiten vorzuenthalten; morgendliche Besucher am Brunswick Square erfuhren lediglich, dass Miss Wintertowne und ihre Mutter ruhten; am Hanover Square verhielt es sich genauso: Mr. Norrell sei sehr erschöpft – er sei absolut außerstande, irgendjemanden zu empfangen; und was Sir Walter Pole betraf, so wusste niemand genau, wo er zu finden war (wenngleich sich der Verdacht aufdrängte, dass er sich im Hause von Mrs. Wintertowne am Brunswick Square aufhielt). Ohne Mr. Drawlight und Mr. Lascelles (gütige Seelen!) hätte man in der Stadt überhaupt keine Informationen erhalten, doch die beiden fuhren fleißig in London umher und machten in einer schier unermesslichen Anzahl von Salons, Frühstückszimmern, Speisezimmern und Kartenzimmern ihre Aufwartung. Es ist unmöglich zu sagen, zu wie vielen Abendessen Drawlight an diesem Tag eingeladen wurde – zum Glück war er kein großer Esser, ansonsten hätte er langfristigen Schaden an seiner Verdauung genommen. Fünfzig Mal oder öfter muss er geschildert haben, wie er und Mrs. Wintertowne, nach Miss Wintertownes Wiederherstellung, gemeinsam geschluchzt hatten; wie Sir Walter und er einander die Hand geschüttelt hatten; wie Sir Walter ihm überaus aufrichtig gedankt hatte und wie er Sir Walter gebeten hatte, daran keinen Gedanken zu verschwenden; und wie Mrs. Wintertowne darauf bestanden hatte, dass Mr. Lascelles und er in ihrer eigenen Kutsche nach Hause gebracht wurden.
    Sir Walter Pole hatte Mrs. Wintertownes Haus gegen sieben Uhr verlassen und war in seine Wohnung zurückgekehrt, um ein paar Stunden zu schlafen, doch um die Mittagszeit herum begab er sich wieder zum Brunswick Square, wie in der Stadt vermutet worden war. (Wie unsere Nachbarn uns durchschauen!) Zu diesem Zeitpunkt war Mrs. Wintertowne klar geworden, dass ihre Tochter inzwischen eine gewisse Berühmtheit und über Nacht öffentliche Bedeutung erlangt hatte. Neben den Leuten, die ihre Karten an der Tür abgaben, trafen stündlich zahlreiche Briefe und Glückwunschkarten für Miss Wintertowne ein, worunter viele von Personen stammten, von denen Miss Wintertowne noch nie gehört hatte. »Gestatten Sie mir, Madam«, schrieb jemand, »die inständige Bitte an Sie zu richten, die drückende Last des schattigen Tales, das sich Ihnen enthüllt hat, abzuschütteln.«
    Dass unbekannte Personen sich anmaßten, sich zu so privaten Angelegenheiten wie Tod und Auferstehung zu äußern, dass sie in den Briefen an ihre Tochter ihrer Neugierde solch freien Lauf ließen, war ein Umstand, der Mrs. Wintertownes absolute Missbilligung erfuhr; für dermaßen vulgäre, schlecht erzogene Wesen hatte sie zahlreiche Rügen übrig, die anzuhören Sir Walter nach seiner Ankunft am Brunswick Square gezwungen war.
    »Mein Rat, Ma'am«, sagte er, »ist, nicht weiter darüber nachzudenken. Wie wir Politiker wissen, ist die Politik der Würde und des Schweigens unsere beste

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