Jonathan Strange & Mr. Norrell
Verteidigung gegen diese Art von Aufdringlichkeit.«
»Ach! Sir Walter!«, rief seine zukünftige Schwiegermutter, »welch ein Trost für mich festzustellen, wie häufig unsere Meinungen sich decken. Würde und Schweigen. Ganz genau. Ich glaube, wir können die Leiden der armen lieben Emma gar nicht diskret genug behandeln. Nach dem morgigen Tag bin ich für meine Person fest entschlossen, nie wieder darüber zu sprechen.«
»Vielleicht«, sagte Sir Walter, »würde ich nicht ganz so weit gehen. Denn, wissen Sie, wir dürfen Mr. Norrell nicht vergessen. In Mr. Norrell werden wir eine ständige Erinnerung an das Geschehene haben. Ich fürchte, er wird häufig zu uns kommen – nach dem, was er für uns getan hat, können wir uns ihm kaum erkenntlich genug zeigen.« Er hielt inne und fügte dann mit einem schiefen Lächeln in seinem hässlichen Gesicht hinzu: »Zum Glück war Mr. Norrell so gut und hat erklärt, wie seiner Ansicht nach mein Anteil an den Verpflichtungen am besten erfüllt werden kann.« Dies war ein Hinweis auf eine Unterhaltung, die um vier Uhr morgens zwischen Sir Walter und Mr. Norrell stattgefunden hatte. Mr. Norrell hatte Sir Walter auf der Treppe abgefangen und in aller Ausführlichkeit seine Pläne dargelegt, wie er die Franzosen mit Hilfe der Zauberei in Verwirrung zu stürzen gedachte.
Mrs. Wintertowne sagte, sie sei natürlich gerne bereit, Mr. Norrell mit Bekundungen ihres besonderen Respekts und ihrer Hochachtung zu würdigen; jeder solle wissen, wie sehr sie ihn schätze. Abgesehen von seiner großartigen Zauberkunst – die zu erwähnen, so sagte Mrs. Wintertowne, nicht nötig sei, wenn er in ihr Haus käme –, schien er ein sehr angenehmer älterer Gentleman zu sein.
»In der Tat«, sagte Sir Walter. »Aber im Moment soll unser dringendstes Anliegen sein, dafür zu sorgen, dass Miss Wintertowne nicht mehr auf sich nimmt, als sie bewältigen kann – und genau deshalb wünschte ich Sie zu sprechen. Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, aber mir scheint es sinnvoll, die Hochzeit um eine oder zwei Wochen zu verschieben.«
Mrs. Wintertowne konnte einen solchen Aufschub nicht gutheißen; sämtliche Vorkehrungen waren getroffen und der größte Teil des Hochzeitsessens bereits zubereitet. Suppe, Gelees, gekochtes Fleisch, eingelegter Stör und so weiter und so fort, und all das sollte in einer Woche oder zwei noch einmal gemacht werden? Sir Walter hatte den Argumenten häuslicher Ökonomie nichts entgegenzusetzen, und daher schlug er vor, Miss Wintertowne zu fragen, ob sie sich kräftig genug fühle.
Und sie erhoben sich aus den Sesseln im eiskalten Salon (in dem diese Unterhaltung stattgefunden hatte) und gingen hinauf in Miss Wintertownes Wohnzimmer im zweiten Stock, wo sie die Frage an sie richteten.
»Oh!«, sagte sie. »Ich habe mich in meinem Leben noch nie besser gefühlt. Ich fühle mich sehr kräftig und wohl. Ich danke sehr. Ich bin heute Morgen bereits ausgegangen. Ich gehe nicht oft spazieren. Nur selten fühle ich mich körperlicher Ertüchtigung gewachsen, aber heute Morgen kam mir das Haus wie ein Gefängnis vor. Ich sehnte mich danach, draußen zu sein.«
Sir Walter blickte äußerst besorgt drein. »War das vernünftig?« Er wandte sich an Mrs. Wintertowne. »War das richtig?«
Mrs. Wintertowne öffnete den Mund, um zu protestieren, doch ihre Tochter lachte nur und rief aus: »Mama wusste nichts davon, das versichere ich Ihnen. Ich bin ausgegangen, während sie in ihrem Zimmer schlief. Barnard hat mich begleitet. Und ich bin zwanzig Mal um den Brunswick Square herumgegangen. Zwanzig Mal – ist das nicht das Lächerlichste, was Sie je gehört haben? Aber ich war von einem solchen Drang besessen zu laufen. Ja, am liebsten wäre ich losgerannt, wenn das möglich gewesen wäre, aber Sie wissen ja, in London...« Sie lachte erneut. »Ich wollte noch weiter gehen, aber Barnard hat es nicht gestattet. Sie hat sich gesorgt, dass ich auf der Straße in Ohnmacht fallen könnte, und ließ mich nicht außer Sichtweite des Hauses gehen.«
Sie starrten sie an. Dies war – abgesehen von allem anderen -vermutlich die längste Rede, die Sir Walter je aus ihrem Mund gehört hatte. Sie saß hoch aufgerichtet da, mit leuchtenden Augen und einem blühenden Gesichtsausdruck – strahlend vor Gesundheit und Schönheit. Sie sprach so schnell und ausdrucksvoll; sie sah so glücklich aus und war so außerordentlich lebhaft. Es war, als hätte Mr. Norrell sie nicht nur ins Leben
Weitere Kostenlose Bücher