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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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die Briten daran zu hindern, das zu tun, was sie anscheinend tun wollten.
    Es wehte beständig ein ablandiger Wind. Die französischen Matrosen versahen ihre Vorbereitungen rasch und effizient, und die Schiffe waren fast bereit zum Auslaufen, als plötzlich dicke schwarze Wolken am Himmel aufzogen und es zu regnen begann.
    Nun versteht es sich von selbst, dass ein so bedeutender Hafen wie Brest über eine beträchtliche Anzahl von Leuten verfügte, die die Winde und das Wetter studierten. Just in dem Moment, in dem die Schiffe auslaufen wollten, eilten einige dieser Leute in großer Aufregung zu den Kais hinunter, um die Seeleute zu warnen, dass irgendetwas an diesem Regen überaus ungewöhnlich war: Die Wolken, so meinten sie, seien aus Norden gekommen, wohingegen der Wind aus Westen wehe. So etwas war vollkommen unmöglich, aber es war geschehen. Die Kapitäne der Schiffe hatten gerade noch genug Zeit, sich – je nach Charakter – verwundert, ungläubig oder entnervt zu zeigen, als eine weitere Nachricht eintraf.
    Der Hafen von Brest verfügt über eine innere Bucht und eine äußere Bucht, wobei die innere Bucht vom offenen Meer durch eine lange, schmale Halbinsel getrennt ist. Während der Regen sich verstärkte, erfuhren die französischen Offiziere, die das Kommando über die Schiffe hatten, dass eine große Flotte mit britischen Schiffen in der äußeren Bucht aufgetaucht war.
    Wie viele Schiffe waren es? Die Kundschafter wussten es nicht. Mehr, als man auf einen Blick zählen konnte – vielleicht sogar an die hundert. Wie der Regen auch, so waren die Schiffe anscheinend binnen eines Augenblicks auf dem leeren Meer aufgetaucht. Um welche Art von Schiffen handelte es sich? Oh! Das war das Merkwürdigste an der ganzen Geschichte. Es war eine Schlachtlinie schwer bewaffneter Kriegsschiffe mit zwei oder drei Decks.
    Dies waren erstaunliche Nachrichten. Die hohe Anzahl der Schiffe wie auch ihre Größe war, offen gestanden, rätselhafter als ihr plötzliches Auftauchen. Die britische Kriegsmarine hatte Brest schon häufiger blockiert, aber niemals mit mehr als fünfundzwanzig Schiffen auf einmal, von denen lediglich vier oder fünf große Kriegsschiffe in Schlachtlinie waren, während es sich bei den anderen um kleine, aber schnelle Fregatten und Schaluppen handelte.
    Die Mär von diesen hundert Schiffen war so sonderbar, dass die französischen Kapitäne sie nicht glaubten, bevor sie nicht selbst nach Lochrist oder Camaret Saint-Julien oder andere Stellen geritten oder gerudert waren, wo sie von den Klippen aus die Schiffe mit eigenen Augen sehen konnten.
    Tage vergingen. Der Himmel war bleigrau, und es regnete immer weiter. Die britischen Schiffe blieben hartnäckig auf ihren Posten. Die Bewohner Brests hatten große Angst davor, dass einige der Schiffe versuchen könnten, sich der Stadt zu nähern und sie zu bombardieren. Doch die britischen Schiffe unternahmen nichts.
    Noch merkwürdiger waren die Nachrichten, die aus anderen Häfen des französischen Empires eintrafen, aus Rochefort, Toulon, Marseille, Genua, Venedig, Vlissingen und hundert anderen weniger bedeutenden Städten. Sie wurden ebenfalls von britischen Flotten blockiert, die sich aus etwa hundert Kriegsschiffen zusammensetzten. Wenn man alle zusammenzählte, so umfassten diese Flotten vermutlich mehr Kriegsschiffe, als die Briten besaßen. Ja, sie umfassten mehr Kriegsschiffe, als es auf dem Antlitz der Erde gab.
    Der ranghöchste Offizier in Brest zu dieser Zeit war Admiral Desmoulins. Er hatte einen Diener, einen ganz kleinen Mann, der nicht größer war als ein achtjähriges Kind und so dunkel, wie ein Europäer nur sein kann. Er sah aus, als habe man ihn in den Ofen gesteckt und zu lange gebacken, so dass er nun etwas verbrannt wirkte. Seine Haut hatte die Farbe einer Kaffeebohne und fühlte sich an wie getrockneter Milchreis. Sein Haar war schwarz, verdrillt und speckig wie die Knöchelchen und Federkiele, die man an den weniger saftigen Teilen eines Brathuhns findet. Sein Name war Perroquet (was Papagei bedeutet). Admiral Desmoulins war sehr stolz auf Perroquet; stolz auf seine Kleinheit, stolz auf seine Schlauheit, stolz auf seine Flinkheit und vor allem stolz auf seine Farbe. Admiral Desmoulins prahlte oft damit, dass er Schwarze gesehen habe, die neben Perroquet blass aussähen.
    Es war Perroquet, der vier Tage lang im Regen saß und die Schiffe durch sein Fernrohr beobachtete. Er trug einen Hut in Kindergröße, der an den Seiten spitz

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