Jonathan Strange & Mr. Norrell
Franzosen sind doch, wie ich schon öfters vermutet habe, eine sehr schrullige Nation.)
Kapitän Jumeau fragte sich, ob sie nicht aus Silberpapier seien.
»Silberpapier!«, rief der Admiral aus.
»Oh ja!«, sagte Kapitän Jumeau. »Wissen Sie, es gibt Damen, die nehmen Silberpapier und rollen es ein und machen daraus kleine Körbe, die sie dann mit Blumen dekorieren und in die sie gezuckerte Pflaumen legen.«
Der Admiral und Perroquet hörten es überrascht, doch Kapitän Jumeau war ein gut aussehender Mann und wusste eindeutig mehr über Damen als sie.
Doch wenn eine Dame einen Abend lang brauchte, um einen Korb zu machen, wie viele Damen würde man brauchen, um eine Flotte herzustellen? Der Admiral sagte, er bekomme Kopfschmerzen, wenn er darüber nachdenke.
Die Sonne kam noch einmal hervor. Da sie diesmal etwas näher an den Schiffen waren, konnten sie erkennen, wie das Sonnenlicht durch sie hindurchschien und sie farblos machte, bis sie nur ein schwaches Funkeln auf dem Wasser waren.
»Glas«, sagte der Admiral, und er kam der Wahrheit damit ziemlich nahe, doch es war der schlaue Perroquet, der schließlich ins Schwarze traf.
»Nein, mein Admiral, es ist der Regen. Sie sind aus Regen.«
Während der Regen vom Himmel fiel, flossen die Tropfen zusammen und bildeten fest umrissene Massen – Pfeiler, Balken und Flächen, die irgendjemand so geformt hatte, dass sie aussahen wie hundert Schiffe.
Perroquet, der Admiral und Kapitän Jumeau verzehrten sich vor Neugierde zu erfahren, wer so etwas zustande gebracht haben könnte, und sie waren sich einig, dass es sich um einen Regenschmiedemeister handeln musste.
»Aber nicht nur ein Regenschmiedemeister«, rief der Admiral, »auch ein Puppenspielermeister! Sehen Sie, wie sie auf dem Wasser auf und nieder gehen. Wie sich die Segel füllen und dann wieder schlaff werden.«
»Das ist mit Sicherheit das Schönste, was ich je gesehen habe, mein Admiral«, stimmte Perroquet zu. »Aber ich wiederhole, was ich vorhin angedeutet habe, wer auch immer es ist, er versteht nichts von der Seefahrt oder von der Seemannschaft.«
Zwei Stunden lang fuhr das hölzerne Schiff des Admirals in die Regenschiffe hinein und wieder heraus. Da es sich um Schiffe aus Regen handelte, machten sie nicht das geringste Geräusch – kein Knarren des Holzes, kein Schlagen der Segel im Wind, keine Rufe von Matrose zu Matrose. Mehrere Male kamen Männer aus Regen mit ebenmäßigen Gesichtszügen an die Reling, um nach dem hölzernen Schiff und seiner Besatzung aus Fleisch und Blut Ausschau zu halten, doch niemand konnte sagen, was die Regenmatrosen dachten. Dennoch fühlten der Admiral, der Kapitän und Perroquet sich völlig sicher, denn, wie Perroquet bemerkte: »Selbst wenn die Regenmatrosen das Feuer auf uns eröffnen, dann sind es Kanonenkugeln aus Regen, und wir werden nur nass.«
Perroquet und der Admiral und Kapitän Jumeau waren ganz in Bewunderung versunken. Sie vergaßen, dass sie hinters Licht gerührt worden waren, sie vergaßen, dass sie eine ganze Woche verloren hatten und dass die Briten sich während dieser Woche in Häfen an der Ostseeküste und in Häfen an der portugiesischen Küste und in andere Häfen geschlichen hatten, in die der Kaiser Napoleon Bonaparte sie nicht hineinlassen wollte. Doch der Zauber, der die Schiffe an ihrem Platz festhielt, schien zu schwinden (wodurch sich vermutlich das schmelzende Schiff an der Nordspitze der Flotte erklären ließ). Nach zwei Stunden hörte es auf zu regnen, und im gleichen Moment brach der Zauber, was Perroquet, der Admiral und Kapitän Jumeau in einer merkwürdigen Sinnesverschiebung erkannten, es war, als hätten sie ein Streichquartett gekostet oder wären einen Augenblick lang vom Anblick der Farbe Blau taub geworden. Für den Bruchteil einer Sekunde wurden die Regenschiffe zu Dunstschiffen, dann blies die Brise sie sanft auseinander.
Die Franzosen waren allein auf dem leeren Atlantik.
KAPITEL 12
Der Geist der englischen Zauberei drängt
Mr. Norrell, Britannia beizustehen
Dezember 1807
Eines Tages im Dezember stießen zufällig zwei Lastfuhrwerke in Cheapside zusammen. Das eine, das mit Sherryfässern beladen war, kippte um. Während die Kutscher darüber stritten, wer von ihnen schuld war, beobachteten ein paar Passanten, dass aus einem der Fässer Sherry auslief. Bald schon versammelte sich eine Gruppe von Trinkern mit Gläsern und Kannen, um den Sherry aufzufangen, und mit Haken und Stangen, um in die bislang
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