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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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überreden, uns eine Vision in einer Silberschale vorzuführen?«
    Normalerweise war Mr. Norrell der letzte Mensch auf Erden, der eine so eitle Neugierde befriedigen würde, doch er war so glücklich über seinen Empfang in der Admiralität (die beiden Herren hatten ihn mit Komplimenten überschüttet), dass er fast umgehend einwilligte; ein Dienstbote wurde geschickt, eine Silberschale zu holen. »Eine Silberschale mit etwa einem Fuß Durchmesser«, sagte Mr. Norrell, »die Sie mit klarem Wasser füllen müssen.«
    Die Admiralität hatte kürzlich Befehle an drei Schiffe ausgesandt, sich südlich von Gibraltar zu sammeln, und Lord Mulgrave war überaus neugierig zu erfahren, ob dies erfolgt war; wäre Mr. Norrell in der Lage, es herauszufinden? Mr. Norrell konnte es nicht sagen, versprach aber, es zu versuchen. Als die Schale gebracht wurde und Mr. Norrell sich darüber beugte, hatten Lord Mulgrave und Mr. Horrocks das Gefühl, dass der frühere Ruhm der englischen Zauberei wieder heraufbeschworen werde; sie fühlten sich, als lebten sie im Zeitalter von Stokesey, Godbless und dem Rabenkönig.
    Auf der Oberfläche des Wassers in der Silberschale erschien ein Bild, ein Bild von drei Schiffen, die auf den Wellen eines blauen Meers dahinglitten. Das kräftige klare Licht des Mittelmeers leuchtete in das düstere Dezemberzimmer und erhellte die Gesichter der drei Herren, die in die Schale schauten.
    »Es bewegt sich!«, rief Lord Mulgrave in tiefem Staunen.
    In der Tat. Die niedlichsten weißen Wolken, die man sich nur vorstellen konnte, schwebten über den blauen Himmel, die Schiffe glitten über die Wellen, und auf ihnen waren winzige Menschen zu sehen, die sich hin und her bewegten. Lord Mulgrave und Mr. Horrocks konnten ohne Schwierigkeiten die HMS Catherine of Winchester , die HMS Laurel und die HMS Centaur erkennen.
    »Oh, Mr. Norrell!«, rief Mr. Horrocks. »Die Centaur ist das Schiff meines Cousins. Können Sie mir Kapitän Barry zeigen?«
    Mr. Norrell bewegte nervös die Hände, zog die Luft zischend ein und starrte gebannt auf die Silberschale, und nach und nach erschien die Vision eines pausbackigen Mannes mit rosigem Gesicht und einer Mähne goldenen Haars. Dies, so versicherte ihnen Mr. Horrocks, war sein Cousin, Kapitän Barry.
    »Er sieht ganz wohlauf aus, nicht wahr?«, sagte Mr. Horrocks.
    »Ich freue mich zu sehen, dass er bei so guter Gesundheit ist.«
    »Wo befinden sie sich? Können Sie das feststellen?«, fragte Mr. Mulgrave Mr. Norrell.
    »Leider«, sagte Mr. Norrell, »ist diese Kunst, Bilder herzustellen, die Ungenaueste, die es gibt. 23 Ich bin hocherfreut, die Ehre gehabt zu haben, Ihrer Lordschaft Schiffe Seiner Majestät zu zeigen. Ich freue mich umso mehr, als es sich um die handelte, die Sie sehen wollten – was, offen gestanden, mehr ist, als ich erwartet habe –, doch ich fürchte, mehr kann ich nicht tun.«
    Die Admiralität war so entzückt von all dem, was Mr. Norrell geleistet hatte, dass Lord Mulgrave und Mr. Horrocks sich umgehend nach weiteren Aufgaben für den Zauberer umsahen. Die Kriegsflotte Seiner Majestät hatte kürzlich ein französisches Kriegsschiff gekapert; es hatte eine wunderschöne Galionsfigur in Form einer Seejungfrau mit strahlend blauen Augen, korallenroten Lippen, einer ungeheuren Menge wallender goldener Locken, die kunstfertig mit hölzernen Darstellungen von Seesternen und Krebsen übersät waren, sowie mit einem Schwanz, der von oben bis unten mit Blattsilber bedeckt war und aussah, als bestünde er aus Lebkuchen. Man wusste, dass das Schiff, bevor es gekapert wurde, in Toulon, Cherbourg, Antwerpen, Rotterdam und Genua gewesen war, und daher hatte die Seejungfrau viel von den feindlichen Verteidigungsanlagen und dem großen Schiffsbauvorhaben von Kaiser Napoleon Bonaparte gesehen. Mr. Horrocks bat Mr. Norrell, sie mit einem Zauberspruch zu belegen, damit sie alles, was sie wusste, erzählen würde. Mr. Norrell folgte dieser Aufforderung. Doch obwohl die Seejungfrau zum Sprechen gebracht wurde, war sie anfänglich nicht dazu zu bewegen, Fragen zu beantworten. Sie betrachtete sich als unerbittliche Feindin der Briten und war hocherfreut darüber, sprechen zu können, weil sie nun ihrem Hass ihnen gegenüber Ausdruck verleihen konnte. Da sie ihre gesamte Existenz unter Seeleuten zugebracht hatte, kannte sie zahlreiche Schimpfwörter, mit denen sie bereitwillig jeden bedachte, der sich ihr näherte, und das mit einer Stimme, die wie das Knarren der Masten und

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