Jonathan Strange & Mr. Norrell
muss. Er schlang einen Arm um Vinculus' Körper, den anderen um seinen Hals. Vinculus wehrte sich energisch. Trotzdem versäumte er es nicht, Mr. Norrell weiterhin zu beschimpfen:
»Ich sitze auf einem schwarzen Thron in den Schatten, doch sie werden mich nicht sehen .
Der Regen wird ein Tor für mich bilden, und ich werde
hindurchgehen;
Die Steine werden einen Thron für mich bilden, und ich werde
mich darauf setzen...«
Davey und Vinculus tänzelten um einen kleinen Tisch und brachten den Bücherstapel darauf ins Schwanken.
»Vorsichtig!«, rief Mr. Norrell aus. »Sei um Himmels willen vorsichtig! Er wird das Tintenfass umwerfen! Er wird meine Bücher beschädigen!«
Lucas unterstützte Davey bei dem Versuch, Vinculus' wild um sich schlagende Arme zu fesseln, während Mr. Norrell in der Bibliothek so schnell herumhastete, wie er es seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte, um Bücher einzusammeln und in Sicherheit zu bringen.
»Der namenlose Sklave wird eine silberne Krone tragen« , keuchte Vinculus – Daveys Arm um seinen Hals ließ seine Ansprache entschieden weniger eindrucksvoll klingen als zuvor. Vinculus unternahm einen letzten Versuch, befreite den Oberkörper aus Daveys Griff und rief: »Der namenlose Sklave wird König in einem fremden Land sein...« Dann wurde er von Lucas und Davey halb aus dem Zimmer gezogen, halb getragen.
Mr. Norrell setzte sich in den Sessel am Feuer. Er nahm erneut sein Buch zur Hand, stellte jedoch fest, dass er viel zu aufgeregt war, um sich der Lektüre zu widmen. Er rutschte nervös hin und her, kaute auf den Fingernägeln, lief im Zimmer herum, kehrte immer wieder zu den Bänden zurück, die im Verlauf der Auseinandersetzung vom Tisch gefallen waren, und untersuchte sie auf Anzeichen der Beschädigung (es gab keine), doch vor allem trat er mehrmals ans Fenster und spähte ängstlich hinaus, um zu sehen, ob irgendjemand das Haus beobachtete. Um drei Uhr wurde es im Zimmer langsam dämmrig. Lucas kam zurück, um die Kerzen anzuzünden und sich um das Feuer zu kümmern, und hinter ihm trat Childermass ein.
»Endlich!«, rief Mr. Norrell. »Hast du gehört, was passiert ist? Ich wurde allseits im Stich gelassen. Andere Zauberer lassen mich beobachten und schmieden Pläne für meinen Untergang. Meine nichtsnutzigen Diener vergessen ihre Pflichten. Es interessiert sie nur ganz am Rande, ob man mir die Gurgel durchschneidet. Und was dich betrifft, du Schuft, du bist der schlimmste von allen! Ich sage dir, der Mann kam so schnell in mein Zimmer – wie durch Zauberei! Und als ich an der Klingelschnur zog und laut schrie, kam niemand! Du musst all deine andere Arbeit beiseite legen. Deine einzige Aufgabe ist es nun, herauszufinden, welchen Zauberspruch dieser Mann benutzte, um ins Haus zu gelangen. Wo hat er die Zauberei gelernt? Was weiß er?«
Childermass warf seinem Herrn einen ironischen Blick zu. »Nun, wenn das meine einzige Aufgabe ist, dann ist sie bereits erledigt. Es war kein Zauber im Spiel. Eins der Küchenmädchen hat das Fenster zur Vorratskammer offen gelassen, und der Taschenspieler ist eingestiegen und im Haus herumgeschlichen, bis er Sie gefunden hat. Das ist alles. Und weil er die Klingelschnur durchgeschnitten hat und Lucas und die anderen Sie nicht rufen hörten, kam niemand. Sie hörten nichts, bis er zu schreien begann, und dann sind sie sofort gekommen. So war es doch, Lucas?«
Lucas, der mit dem Schürhaken in der Hand vor dem Kamin kniete, bestätigte, dass es sich genau so zugetragen hatte. »Und das habe ich versucht, Ihnen zu erklären, Sir. Aber Sie haben nicht zugehört.«
Doch Mr. Norrell hatte sich in seiner Angst vor Vinculus' Zauberkräften in einen solchen Wahn hineingesteigert, dass diese Erklärung ihn zunächst kaum zu beruhigen vermochte. »Oh!«, sagte er. »Aber ich bin mir nach wie vor sicher, dass er mir Schaden zufügen will. Ja, er hat mir bereits großen Schaden zugefügt.«
»Jawohl«, stimmte Childermass ihm zu, »sehr großen Schaden. Denn er hat in der Vorratskammer drei Fleischpasteten gegessen.«
»Und zwei Stück Käsekuchen«, fügte Lucas hinzu.
Mr. Norrell musste sich selbst eingestehen, dass dies nicht gerade nach den Taten eines großen Zauberers aussah, aber er konnte sich trotzdem nicht völlig entspannen, solange er seinen Ärger nicht an irgendjemandem ausgelassen hatte. Da Childermass und Lucas praktischerweise vor Ort waren, begann er mit ihnen; sie durften sich eine lange Rede anhören, in der er
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