Jonathan Strange & Mr. Norrell
von denen seiner Mitmenschen hatte. Der neue Diener erwähnte seine Schwächen gegenüber den anderen Dienstboten nicht, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er selbst nichts davon wusste. Obwohl er häufig im Streit mit Freunden und Nachbarn lag, fragte er sich stets erneut nach dem Grund und ging jedes Mal davon aus, dass der Fehler bei den anderen lag. Doch falls Sie annehmen, dieses Kapitel beschäftige sich nur mit unliebenswürdigen Personen, soll hier festgehalten werden, dass Laurence Stranges Charakter aus nichts anderem als aus Bosheit bestand, während der neue Diener ein eher natürlicher Verschnitt aus Licht und Schatten war. Er besaß einen ordentlichen Verstand und verteidigte andere mit demselben Eifer gegen echte Verletzungen, mit dem er sich für vermeintlich an ihm begangene Beleidigungen rächte.
Laurence Strange war alt und schlief wenig. Tatsächlich kam es häufig vor, dass er sich nachts wacher fühlte als tagsüber und sich an den Schreibtisch setzte, um Briefe zu schreiben und seine Geschäfte zu führen. Natürlich musste auch immer einer der Dienstboten aufbleiben, und einige Tage, nachdem er seine Arbeit in diesem Haushalt aufgenommen hatte, fiel diese Pflicht dem neuen Diener zu.
Alles ging gut bis kurz nach zwei Uhr morgens, als Mr. Strange nach dem neuen Diener rief und ihn bat, ihm ein kleines Glas Sherry zu bringen. So wenig bemerkenswert diese Aufgabe war -der neue Diener fand sie dennoch alles andere als leicht zu erfüllen. Nachdem er den Sherry an den üblichen Stellen gesucht hatte, war er gezwungen, erst das Dienstmädchen zu wecken und sie nach dem Schlafzimmer des Butlers zu fragen und dann den Butler zu wecken und sich bei ihm nach dem Aufbewahrungsort des Sherrys zu erkundigen. Selbst dann noch musste der neue Diener eine Weile warten, weil der Butler seiner Verwunderung darüber Ausdruck verlieh, dass Mr. Strange nach Sherry gefragt hatte, ein Getränk, das er selten zu sich nahm. Mr. Stranges Sohn, Mr. Jonathan Strange – wie der Butler für den neuen Diener zum besseren Verständnis des Haushalts hinzufügte –, schätze den Sherry außerordentlich und bewahre immer ein oder zwei Flaschen davon in seinem Ankleidezimmer auf.
Gemäß den Anweisungen des Butlers holte der neue Diener den Sherry aus dem Keller – eine Aufgabe, die ausgiebiges Kerzenanzünden, ausgiebige Wanderungen durch dunkle, kalte Korridore, ausgiebiges Abbürsten schmutziger Spinnweben von seinen Kleidern, ausgiebiges Kopfanstoßen gegen rostige alte Gerätschaften, die von modrigen alten Decken hingen, und ausgiebiges Blut- und Schmutzabwischen von seinem Gesicht umfasste. Er brachte Mr. Strange das Glas, der es umgehend hinunterschüttete und um ein weiteres bat.
Der neue Diener fand, dass er für diese Nacht genug vom Keller gesehen hatte, also erinnerte er sich daran, was der Butler gesagt hatte, und ging nach oben ins Ankleidezimmer von Mr. Jonathan Strange. Als er vorsichtig eintrat, schien das Zimmer leer zu sein, obwohl die Kerzen noch brannten. Dies überraschte den neuen Diener nicht besonders, da er wusste, dass unter den vielen schlechten Eigenschaften reicher, unverheirateter Männer die Verschwendung von Kerzen eine besonders auffällige war. Er begann Schubladen und Schränke zu öffnen, blickte in Nachttöpfe, sah unter Tischen und Stühlen nach und linste in Blumenvasen. (Und falls Sie sich über all die Stellen wundern, an denen er nachsah, kann ich nur sagen, dass er über mehr Erfahrungen mit reichen, unverheirateten Herren verfügte als Sie und wusste, dass ihr Umgang mit Haushaltsangelegenheiten häufig von einer gewissen Überspanntheit gekennzeichnet ist.) Er fand die Sherryflasche im Innern eines Stiefels, wo sie die Aufgabe eines Stiefelspanners erfüllte.
Während der neue Diener Sherry in ein Glas goss, blickte er zufällig in den Spiegel, der an der Wand hing, und stellte fest, dass der Raum entgegen seiner Annahme nicht leer war. Jonathan Strange saß in einem Sessel mit hohen Lehnen und beobachtete jeden Schritt, den der neue Diener tat, mit einem überaus erstaunten Bück. Der neue Diener gab kein Wort der Erklärung von sich – denn welche Erklärung hätte er geben können, die ein Herr sich angehört hätte? Ein Dienstbote hätte ihn sofort verstanden. Der neue Diener verließ das Zimmer.
Seit seiner Ankunft im Haus hatte der neue Diener gewisse Hoffnungen gehegt, eine einflussreiche Stellung unter den anderen Dienstboten zu erlangen. Seiner Meinung nach
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