Jones, Diana Wynne
Kaninchenragout. Da sie auch Wein hatten, gab es in den nächsten Tagen sehr gutes Essen. Moril war Kialan fast dankbar. Brid empfand keineswegs Dankbarkeit, denn jedes Mal, wenn sie in einem Städtchen oder einem Dorf Halt machten und auftraten, gab Kialan sich völlig desinteressiert und verkündete, er werde sich außerhalb des Orts wieder mit ihnen treffen. Und jedes Mal, ohne Ausnahme, sahen sie ihn dann im Publikum stehen, genauso gebannt lauschend wie alle anderen auch.
»Dieser doppelzüngige Heuchler!«, schimpfte Brid empört. »Er will nur, dass wir uns klein fühlen.«
»Das würde dir nicht schaden«, entgegnete Lenina trocken. Es wurde immer deutlicher, dass sie Kialan mochte. Nicht etwa, dass sie davon sprach; vielmehr schwieg sie, wo sie hätte reden können. Und als sich Kialan im Wald seinen guten Mantel aufriss, nähte Lenina ihn mit sauberen Stichen, die kaum zu sehen waren.
Kialan wirkte mehr überrascht als dankbar. »Danke, aber du hättest dir keine Mühe machen sollen«, sagte er, als sie ihm den Mantel reichte; er war rot im Gesicht geworden und schien sich tatsächlich ein wenig zu ärgern, weil sie ihm geholfen hatte.
»Im Vergleich zu meiner Wut ist das gar nichts!«, sagte Brid dazu. »Wenn es nach mir ginge, könnte er in Lumpen gehen.«
Am nächsten Tag erreichten sie den Teil der Südtäler, der die Baronie von Markind bildete. In Markind traten sie niemals auf. Während Olob den Wagen die steilen kleinen Hügel Markinds geduldig hinauf-und wieder hinunterzog, erreichte Brids Abneigung gegen Kialan ihren Höhepunkt. Die Schuld trug Clennen, der kein Publikum verschmähte und Kialan genau zu erklären begann, wieso sie die Baronie stets im Eiltempo durchquerten, ohne je eine Vorstellung zu geben.
»Ich habe Lenina von hier geraubt, musst du wissen«, sagte er. »Mitten aus Markind, aus dem Festsaal des Barons. Nicht wahr, Lenina?«
»Ja, das stimmt«, gab Lenina ihm Recht. Wann immer Clennen diese Geschichte erzählte, blieb sie betont unbeteiligt.
»Sie war mit dem Sohn des Barons verlobt. Wie hieß er gleich? Pennan – ja, so hieß er. Ein dummer Grünschnabel, eine ausgemachte Schlafmütze, das war er«, schwelgte Clennen in Erinnerungen. »Ich wurde gebeten, auf der Verlobungsfeier zu singen – schon damals hatte ich einen guten Namen, und man bat mich häufig, bei solchen Festen aufzuspielen, das kannst du mir ruhig glauben. Nun, ich war kaum in die Halle getreten und hatte Lenina zum ersten Mal erblickt, als mir klar wurde, dass sie die Frau meines Lebens ist. An diesen Idioten Quaddel war sie völlig verschwendet. So hieß er doch, Lenina, oder?«
»Er hieß Ganner«, entgegnete sie.
»Ach ja«, sagte Clennen. »Ich weiß noch, dass er mich wirklich an einen Ganter erinnerte. Entweder lag das an seinem langen, mageren Hals oder an seinen Knopfaugen. Jedenfalls dachte ich, dass ich gewiss besser aussähe als er, und beschloss, mich mit Herrn Wammer später zu befassen. Zunächst konzentrierte ich mich ganz auf Lenina. Und ich sang – ich habe niemals besser gesungen, weder vorher noch nachher –, und Lenina konnte einfach nicht die Augen von mir wenden. Nun, das kann ich ihr auch nicht verdenken, denn wenn ich das so sagen darf, war ich damals ein verdammt gut aussehender Bursche und außerdem begabt – dieser Grünschnabel war beides nicht. Deshalb fragte ich Lenina in einem Lied, ob sie lieber mich statt dieses Lackaffen heiraten würde. Als ich vortrat, um den Lohn für meinen Gesang zu empfangen, sagte sie ja. Nun musste ich mit ihm fertig werden. Ich wandte mich ihm zu. ›Herr‹, fragte ich respektvoll, ›was schenkst du mir zum Lohn?‹ Und er antwortete: ›Was immer du willst. Du bist ein großer Barde‹ – und das war das einzig Vernünftige, was er an diesem Tag gesagt hatte. Und ich erwiderte: ›Ich nehme, was du in deiner rechten Hand hast.‹ Damit hielt er Leninas Hand, verstehst du? Ich muss heute noch lachen, wenn ich an sein Gesicht denke.«
Während die Geschichte weiterging – und die Geschichte war lang, denn Clennen schmückte jede Einzelheit aus und wiederholte alles mehrmals –, gingen Brid und Moril außer Hörweite neben dem Wagen her und beobachteten Kilian, in dessen Miene der wachsende Überdruss zu lesen stand. Beide hatten sie die Geschichte schon öfter gehört als sie zählen konnten.
»Ich nehme an als Barde muss man Spaß daran haben, die gleiche Geschichte hundertmal zu erzählen«, sagte Brid ziemlich bissig. »Aber man
Weitere Kostenlose Bücher