Jones, Diana Wynne
sollte doch meinen, dass Vater sich mittlerweile an Ganners Namen erinnern kann.«
»Das gehört eben dazu«, meinte Moril. Träumerisch fügte er hinzu: »Ich frage mich immer, was wohl geschehen würde, wenn wir Ganner hier in Markind begegnen. Würde er Vater in den Kerker werfen?«
»Natürlich nicht«, sagte Brid. »Außerdem glaube ich gar nicht, dass die Geschichte wahr ist. Und wenn doch, dann ist Ganner mittlerweile selber ein großer dicker Baron geworden und hat Mutter völlig vergessen.«
Da Brid wirklich so und nicht anders über die Angelegenheit dachte, war es ein wenig unvernünftig von ihr, wütend zu werden, als sie feststellen musste, dass Kialan ihre Ansicht teilte. Doch wenn man jemanden wirklich nicht ausstehen kann, ist man eben nur selten vernünftig. Sie hielten zum Mittagessen an, und Clennen, der nun richtig in Schwung gekommen war, schmückte die Geschichte noch immer aus.
»Lenina ist eine echte Dame«, sagte er und lehnte sich bequem an das rosa und scharlachrot gestrichene Wagenrad. »Sie ist Tholians Nichte, weißt du. Aber er hat sie verstoßen, weil sie mit mir durchgebrannt ist. Und das ist nur meine Schuld, weil ich Gander diesen Streich gespielt habe. ›Herr‹ sage ich zu ihm, ›gib mir, was du in der rechten Hand hältst.‹ Ach, dieses Gesicht vergesse ich niemals. Niemals!« Und er brach in Gelächter aus.
Kialan hatte die Geschichte mittlerweile wenigstens dreimal über sich ergehen lassen. Moril hatte ihn noch nie so gelangweilt gesehen. Während Clennen lachte, rappelte sich Kialan rasch auf, um zu verschwinden, bevor er noch mehr hören musste, und stolperte davon, ohne darauf zu achten, wohin er trat. Darum wäre er fast über Brid und Moril gestürzt und hatte erst recht die Nase voll.
»Euer Vater ist ein lausiger Langweiler!«, rief er. »Wenn ich glauben würde, dass auch nur ein Wort wahr ist von dem, was er da erzählt, dann täte Ganner mir wirklich Leid!«
»Wie kannst du es wagen!«, fuhr Brid ihn an. »Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen! Ich hätte nicht übel Lust, dir eins auf die Nase zu geben!«
»Ich kämpfe doch nicht mit Mädchen«, entgegnete Kialan herablassend. »Ich habe nur gesagt, dass ich die Ganner-Geschichte nicht mehr hören kann. Und wenn euer Vater sich so gut daran erinnert, warum verwechselt er dann immer den Namen des armen Kerls?«
»Weil es zur Geschichte gehört!«, schrie Brid und warf sich auf ihn.
Im ersten Augenblick versuchte Kialan sich an seine Behauptung zu halten, er kämpfe nicht mit Mädchen, und darum konnte Brid ihn ungehindert zweimal auf die Nase treffen und gegen beide Ohren boxen. »Du hinterlistige Katze!«, rief Kialan und packte sie mit einer Hand an beiden Handgelenken. Das war reine Selbstverteidigung, aber er drückte ihre Arme so kräftig, dass er Brid damit mehr Schmerzen zufügte, als wenn er sie geschlagen hätte. Sie trat mit ihren nackten Füßen nach seinen Beinen, und als sie bemerkte, dass Kialan sich davon nicht beeindrucken ließ, biss sie ihm fest in die Hand. In diesem Moment verlor Kialan völlig die Beherrschung und schlug mit der freien Hand nach ihr.
Dagner erlaubte nicht, dass jemand Brid schlug. Er schoss von seinem Platz an der Hecke hoch und warf sich auf Kialan. Als Moni sah, dass Dagner Kialan mit aller Kraft würgte, hielt er es für das Beste, Brid aus Reichweite der Kämpfenden zu schaffen und stürzte sich ebenfalls ins Handgemenge. Sie bildeten ein wütendes, grunzendes Bündel. Brid wollte Kialans Hand nicht freigeben, und Kialan wollte Brid nicht loslassen. Clennen richtete sich auf, kam herbei und trennte Dagner von Kialan und Kialan von Brid. Alle, auch Moni, fielen mit sattem Rumsen zu Boden, einer hierhin, einer dorthin. Clennen war zwar dick, aber auch sehr kräftig.
»Nun hört ihr auf damit!«, rief er. »Und wenn du noch etwas zu meiner Geschichte anzumerken hast, Kialan, dann sag es mir ins Gesicht.« Er blickte den Jungen fröhlich an, der wutschnaubend im Gras lag und an dem blutigen Handgelenk saugte. »Also?«
»Also gut!«, brüllte Kialan. »Also gut!« Moril bemerkte, dass er kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Brid weinte bereits. »Du kannst von mir aus ruhig weiter erzählen, dass du Ganner nie vergessen wirst – oder wie immer er auch heißt –, so oft du willst. Ich glaube nicht, dass du ihm je begegnet bist! Du würdest ihn nicht erkennen, wenn er uns jetzt auf der Straße entgegenkommen würde! So ist das nämlich!«
Aus Clennens
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