Jones, Diana Wynne
Zelte.
»Clennen der Barde«, sagte einer von ihnen. »Wo ist er?«
Olob warf den Kopf herum und trabte am See entlang davon.
»Er ist nicht hier«, antwortete Brid.
Moril dachte bei sich, dass er das Gleiche geantwortet hätte. Die Männer flößten ihm Unbehagen ein. Es war schon eigenartig, wenn mitten im Nirgendwo plötzlich sechs gut gekleidete Männer aus dem Wald kamen. Gekleidet waren sie sogar sehr gut. Ihre Sachen waren aus einem genauso feinen Tuch wie Kialans Mantel, und ihr elegantes Aussehen sprach für eine gewisse Lebensart. Jeder von ihnen trug ein Schwert in einer gepflegten Lederscheide, die an einem Gürtel über dem guten Tuch ihrer Kleidung hing. Moril gefiel es gar nicht, dass die Hefte dieser Schwerter wie von häufigem Gebrauch abgegriffen aussahen. Wahrlich beunruhigend aber war die Entschlossenheit, die alle sechs ausstrahlten; sie traf Moril wie ein kalter Windstoß und flößte ihm Furcht ein.
»Mein Vater kommt erst spät zurück«, sagte er in der Hoffnung, sie würden wieder gehen.
»Dann warten wir so lange«, sagte der Mann, der gefragt hatte. Ihn mochte Moril am wenigsten von allen. Er hatte helle Haut und auch helle Augen; in diesen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck. Moril traute dem Mann nicht über den Weg.
Lenina empfand anscheinend das Gleiche. Mit offenen Haaren trat sie vor. »Ihr könntet eure Botschaft an Clennen bei mir hinterlassen«, erbot sie sich.
»Sie würde dir nicht gefallen«, sagte der Wortführer. »Wir warten.«
»Moril«, sagte Lenina. »Geh auf die andere Seite des Sees und hol deinen Vater.«
Moril fand ihre Idee sehr klug. Die Männer würden damit getäuscht, und vielleicht konnten Dagner und Kialan helfen. Er warf den Striegel in den Wagen und lief los. Doch ausgerechnet in diesen Moment kroch Clennen wie ein Dachs aus dem Zelt hervor. Er stand auf, und aus dem zerzausten Gewirr aus Haar und Bart blinzelten seine rotunterlaufenen Augen.
»Hat mich jemand gerufen?«, fragte er verschlafen.
Moril blieb hilflos stehen. Alles ging so schnell, dass er kaum fassen konnte, was geschah. Die sechs Männer rückten gemeinsam vor und stießen Lenina, die Brid fest an sich presste, achtlos zur Seite. In der rosa Morgensonne blitzten ihre blanken Schwertklingen auf. Mit festen Schritten umzingelten sie Clennen. So verschlafen er war, musste sich Clennen doch für einen Kampf gewappnet haben. Ein Mann fiel seitlings in den See, rasch platschte ein weiterer hinterher. Dann eilten die sechs Männer, die Schwerter wieder in den Scheiden, gemeinsam vom See fort. Einer warf einen Blick in die Zelte, ein anderer schaute im Vorüberlaufen rasch in den Wagen.
»Nichts zu sehen«, rief er.
»Sucht im Wald«, befahl der Blonde. Und dann, wie ein Spuk, waren sie wieder verschwunden.
Clennen lag, wo man ihn niedergestreckt hatte, halb im Wasser, und sein Blut rann in den See.
Bevor Moril sich rühren konnte, hörte er das Dröhnen laufender Füße. Dagner schoss an ihm vorbei und fiel neben Clennen im Wasser auf die Knie. »Haben sie ihn getötet?«
»Nicht ganz«, sagte Lenina. »Hilf mir mit ihm.«
Moril blieb stehen, wo er war, etwas entfernt, und sah zu, wie sie seinen Vater aus dem stillen, sonnenbeschienenen Wasser zogen. Brids Gesicht war aschfahl, und ihre Zähne klapperten. Dagners Mund zuckte unablässig. Moril sah, dass ihm auch die Hände zitterten. Nur Lenina war sehr ruhig und nicht blasser als sonst. Sie drehten Clennen herum, und Moril entdeckte den klaffenden Schnitt in seiner Brust. Hellrotes Blut sprudelte so rasch daraus hervor, wie der Katarakt von Wassersturz herabbrauste. In der kalten Luft über dem See dampfte es ein wenig.
Bei diesem Anblick gerieten die schönen Bäume, der See und der sonnige Himmel ringsum Moril ins Schwanken, hoben und senkten sich. Dann schien alles bitter und grau und fern. Er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Hoch im Wald hinter sich hörte er undeutlich die sechs Männer durchs Unterholz brechen und sich gegenseitig zurufen, doch sie hätten genauso gut auf dem Mond sein können, so wenig fürchtete sie Moril, so wenig kümmerten sie ihn jetzt. Die Augen so sehr geweitet, dass sie schmerzten, starrte er auf die Gruppe am Wasser.
Mit unverminderter Ruhe riss sich Lenina einen breiten Streifen Stoff aus dem Unterrock, dann noch einen, und drückte sie auf die Blutung. »Du auch«, sagte sie zu Brid, und während sich die Tochter bebend den Unterrock auszog, befahl Lenina Dagner mit der gleichen Ruhe:
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