Jones, Diana Wynne
dann ist es deine Schuld. Dagner, es ist wohl besser, wenn wir jetzt in unsere Kostüme schlüpfen.«
»Nein«, widersprach Dagner.
»Wieso nicht?«, fragte Brid.
»Weil wir sie nicht anziehen. Wir geben die Vorstellung, wie wir sind. Wir sehen recht achtbar aus.«
»Ja, aber wir ziehen uns immer um«, begehrte Brid auf. »Das gehört doch dazu.«
»Das war Vaters Idee«, entgegnete Dagner. »Und in gewisser Weise passte es auch zu ihm. Die bunten Kostüme passten zu seinem Stil, mit Gesang und Pracht in den Ort einzufahren. Damit weckte er Erwartungen, denen er gerecht wurde. Aber wenn ich in dem Flitterkostüm einfahre und ein fröhliches Liedchen trällere, lachen mich die Leute nur aus.«
»Das glaubst du nur, weil du so angespannt bist«, redete Brid auf ihn ein. »Du fühlst dich bestimmt besser, wenn wir uns umgezogen haben.«
»Nein, auf keinen Fall. Dann würde ich mich zehnmal schlimmer fühlen. Brid, Vater war ein anderer Mensch als ich, und ich kann nicht so sein wie er. Ich muss es auf meine Weise tun, oder ich lasse es ganz bleiben, verstehst du?«
Mittlerweile war Brid den Tränen nahe. »Du meinst, du gibst gar keine Vorstellung?«
»Keine Vorstellung, wie Vater sie gegeben hätte«, sagte er, »denn das könnte ich nicht. Wir treten auf, weil wir verhungern müssen, und du kannst uns vorstellen und erklären, was geschehen ist. Vielleicht geht es so. Aber wenn ich merke, dass du anfängst anzugeben und Schwulst erzählst, dann höre ich auf. Für dich gilt das Gleiche, Moril. Wir müssen uns ganz einfach geben, denn wir sind nicht Vater.«
Brid seufzte tief. »Also gut. Aber ich ziehe mir trotzdem meine Stiefel an. Ich brauche das Gefühl.« Sie wurde etwas munterer. »Ich habe die Farbe deines Kostüms immer gehasst, Moril. So wie jetzt siehst du netter aus.«
»Danke«, sagte Moril höflich. Dagner hatte ihm gerade deutlich vor Augen geführt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben ganz auf sich gestellt auftreten würden. Soweit er sich erinnerte, war er vor einer Vorstellung noch nie unruhig gewesen. Heute war es anders. Während Brid die Anhöhe nach Niedertal herunterfuhr, umklammerte Moril mit eiskalten Fingern die große Quidder und schwitzte zugleich. Er hätte nicht sagen können, wer heftiges Herzklopfen hatte – er oder Dagner. Die Häuser kamen näher. In seiner Verzweiflung legte Moril die Wange an das glatte Holz der Quidder. »Ach bitte, hilf mir!«, flüsterte er ihr zu. »Ich schaffe das nicht. Ich kann es nicht!«
»Halt mal kurz an«, bat Kialan.
Brid zügelte Olob, und Kialan sprang vom Wagen auf die Straße. Brid sah düster zu ihm hinunter. »Jetzt willst du uns wieder einreden, du würdest dich nicht um unsere Vorstellung scheren, ja? Nun, lass das einfach sein. Ich glaube dir sowieso nicht. Ich habe dich bei jedem unserer Auftritte in der Menge gesehen.«
Kialan blickte in Brids hitziges Gesicht und schien verdutzt. Dann lachte er. »Na schön, ich sage ja nichts mehr. Trotzdem treffen wir uns wie immer auf der anderen Seite des Ortes. Bis bald.« Die Hände in den Hosentaschen, schlenderte er zur Stadt und pfiff dabei ›Fidele Holande‹.
»Ich geb’s auf!«, rief Brid. Aber ihre Brüder waren beide zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu antworten.
7.
Auf dem Marktplatz von Niedertal herrschte stets reges Treiben. Sehr groß war der Platz nicht, aber in der Mitte gab es einen hübschen Springbrunnen. Um den Markt gruppierten sich an drei Seiten vier Gasthäuser, eine Getreidebörse und zwei Zunfthallen, die sehr zum geschäftigen Kommen und Gehen beitrugen. Die vierte Seite nahm das düstere, graue Gefängnisgebäude ein. Als Brid den Wagen auf den Platz lenkte, kam er ihr belebter vor als in ihrer Erinnerung. Dicht drängten sich die Menschen aneinander. Bald, während Olob sich durch die Menge zum Springbrunnen vorschob, erblickten sie auch den Grund für den Auflauf: Am Morgen hatte es eine öffentliche Hinrichtung gegeben. Der Galgen stand noch vor dem Gefängnis, und der Gehenkte hing daran. Vor den Gasthäusern saßen Menschen im Freien und prosteten ihm immer wieder höhnisch mit ihren Krügen zu.
Die baumelnde Gestalt machte die drei Geschwister beklommen, auch wenn sie dadurch ein vielköpfiges Publikum vorfanden. Dagner wurde grün im Gesicht, und Moni packte die Quidder noch fester und schluckte. Brid konnte nicht widerstehen, sie beugte sich zu dem nächsten Passanten vor und fragte ihn, wer dort gehängt worden sei.
»Ein Gehilfe
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