Jones, Diana Wynne
tiefe, rollende Stimme Clennens klangen die Lieder für ihn dünn und fremd, und es fehlte auch die Klangfülle, die Lenina ihnen mit der Handorgel zu verleihen pflegte. Moril beschlich das Gefühl, sie hätten der Menge eigentlich nichts zu bieten außer wenig geübtem Quidder-und Panhornspiel.
Brid kam es genauso vor. Zur Ermunterung verkündete sie, dass sie nun als Trio die ›Sieben Märsche‹ spielen würden. Mit diesen Stücken sollten sie keine Schwierigkeiten haben. Und so kam es dann auch. Den größten Erfolg hatten sie, als Dagner einer plötzlichen Eingebung folgend Brid bedeutete, den ›Vierten Marsch‹ leise zu spielen. Er selbst spielte dann seine Sopran-Quidder genau doppelt so schnell wie Moni den langsamen, melancholischen Tenor. Währenddessen sahen sie sich an. Moril war sich bewusst, dass keiner von ihnen den Auftritt wirklich genoss, aber beide hungerten sie mittlerweile nach einem bisschen Applaus von der stillen Menge. Außerdem empfanden sie jene ernsthafte Befriedigung, die sich einstellt, sobald man weiß, dass man echte Kunstfertigkeit zur Schau stellt. Doch als sie fertig waren, wurden sie nicht nur mit brausendem Applaus belohnt, sondern auch mit etlichen Münzen, die in den Hut fielen.
Als Nächstes spielten sie Clennens ›Kuckuckslied‹, bei dem die Leute immer lachen mussten. Danach verkündete Brid, Dagner werde nun einige seiner eigenen Lieder singen. Sie kündigte ihn so früh an, weil sie glaubte, dass er sich für den Rest der Vorstellung umso besser hielte, je eher er seinen Solobeitrag hinter sich hätte.
Brid war froh, dass sie ›einige Lieder‹ angekündigt hatte, denn Dagner war so unsicher, dass er nur drei hervorbrachte. Hätte sie nicht von der Anzahl gesprochen, hätte er es vermutlich bei einem einzigen Lied belassen. Moril war enttäuscht von ihm und Brid aufgebracht. Eigentlich war es zu schade, denn der Menge gefielen Dagners Lieder. ›Die Farbe, die du siehst‹ kam besonders gut an. Brid merkte genau, dass Dagner das Publikum ganz auf seiner Seite hatte. Die Zuhörer glaubten, er trete mutig in Clennens Fußstapfen, und wollten ihm Mut machen. Doch Dagner, hochrot im Gesicht, zitterte und nach dem dritten Lied hörte er auf.
Ärgerlich trat Brid in die Mitte des Wagens und sang selbst. Ohne dass man ihn dazu aufgefordert hatte, begleitete Moril sie auf der Quidder, während Dagner im Hintergrund vor sich hinkeuchte. Brid schlug sich gut. Vor Publikum blühte sie auf, so war es schon immer. Sie sang eine Reihe von Balladen, sah sich angesichts der baumelnden Leiche jenseits der Menschenmenge allerdings gezwungen, ›Das Erhängen von Filli Ray‹ auszulassen, obwohl sie dieses Lied am besten beherrschte. Ihren größten Erfolg hatte sie unbestreitbar mit einem fröhlichen Hirtenlied, dem ›Kuh-Ruf‹, das sie anstelle von ›Filli Ray‹ sang. Dieses Lied hatte Brid schon immer gefallen. Es begann mit einem Jodelruf an die ganze Herde, dann sang man die Kühe einzeln an, und bei jedem Vers fügte man eine neue hinzu.
»Rote Kuh, rote Kuh,
meines Herren liebste Muh,
Braune Kuh, braune Kuh,
‘ner Dame aus der Stadt bist du«,
sang Brid, und kein Zuschauer ahnte wie fieberhaft sie überlegte, womit sie ihre ungewöhnlich kurze Vorstellung noch verlängern sollte, bevor ihr die Stimme versagte. Bei ›Alte Kuh, alte Kuh‹ fiel es ihr ein. Zum Ende des Liedes verbeugte sich Brid, und Münzen flogen in den Hut.
»Und nun, meine Damen und Herren, singt mein Bruder Moril vier Lieder von Osfameron.«
Moril schluckte heftig und funkelte Brid böse an. Noch nie hatte er eins der alten Lieder in der Öffentlichkeit gesungen. Weil Brid ihn aber einfach angekündigt hatte, musste er in die Mitte des Wagens treten, und seine feuchten Hände zitterten auf der Quidder. Und als wäre es nicht ohnehin schon schlimm genug, entdeckte er auch noch Kialan, der neben dem Springbrunnen in der Menge stand. Er wirkte kühl, aufmerksam und ein wenig kritisch. Von Morils Blickpunkt sah es aus, als baumele der Gehenkte ihm genau über dem Kopf. Er wandte die Augen von beiden ab und begann zu spielen. Er wusste, dass er eine klägliche Darbietung liefern würde.
Eine kleine Weile lang konnte er auf nichts anderes mehr achten als auf die ungewohnte Fingerarbeit und die eigenartigen, altmodischen Rhythmen. Dann löste sich seine Verkrampfung ein wenig, und er bemerkte staunend, dass sein Spiel ihm gefiel. Weil Moril von Natur aus eine hohe Stimme hatte, brauchte er sich –
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