Jones, Diana Wynne
nicht erwischt«, sagte Dagner. »Ich glaube nämlich kaum, dass ich alleine eine Vorstellung geben könnte, und ich hatte mich schon gefragt, wovon um alles in der Welt ich leben solle.«
Mit diesem ehrlichen Eingeständnis besänftigte er Brid endlich. Sie grollte nicht mehr, obwohl sie weiterfuhren, bis es fast ganz finster geworden war. Nun erst erlaubte es Dagner, dass Olob ihnen einen Lagerplatz auf einem Hügel suchte. Dadurch lagerten sie recht zugig, worauf Brid deutlich hinwies, während sie mehr schlecht als recht versuchten, im windigen Halbdunkel ihr Zelt aufzuschlagen.
»Ja, aber von hier oben sehen wir, ob jemand kommt«, sagte Dagner.
»Und hier gibt es Disteln. Gerade bin ich nämlich in eine getreten«, beschwerte sich Brid.
»Warum um alles in der Welt ziehst du dir nicht die Stiefel an?«, wollte Kialan wissen.
»Nein, das mach ich nicht! Am Ende ruiniere ich sie mir«, sagte Brid entsetzt.
Kialan brüllte vor Lachen, und damit schien er Brids gereizte Stimmung hinwegzublasen. So nahm sie es recht gelassen auf, als Moni entdeckte, dass sie nur Brot und Zwiebeln zu essen hatten.
»Ich wusste doch, dass wir die Kaninchen brauchen würden«, sagte Kialan niedergeschlagen.
»Wir haben alle sehr gut zu Mittag gegessen«, entgegnete Brid.
Moril schlug vor, das Brot und die Zwiebeln zusammen zu braten. Leider war es bis dahin so dunkel geworden, dass er nicht sah, was er briet. Was er später aus der Bratpfanne holte, war darum so verbrannt, dass sie es nur aßen, weil sie großen Hunger hatten. Dann legten sie sich zum Schlafen nieder. Wenn Moril in der Nacht aufwachte, um sich auf die andere Seite des Weinkrugs zu legen, kam es ihm vor, als hielten Kialan und Dagner abwechselnd Wache, bis es dämmerte. Jedenfalls wirkten sie bei Morgengrauen beide übernächtigt.
Trotzdem setzte Dagner den Wagen wieder in Bewegung, kaum dass die Sonne aufgegangen war und Olob zu fressen bekommen hatte. Unterwegs aßen sie den letzten Rest Brot. Brid stöhnte ein wenig, und Dagner versprach, dass sie im nächsten Dorf, das sie erreichten, Lebensmittel kaufen würden.
»Wovon denn?«, fragte Brid.
Nun folgte ein sehr unangenehmer Augenblick, denn das Kästchen, in dem Lenina normalerweise das Geld verwahrte, war leer. Sie musste die Münzen in Markind herausgenommen haben. In den Taschen ihrer hübschen neuen Kleider hatte keiner von ihnen auch nur ein Geldstück. Eine Weile lang sah es aus, als müssten sie erst eine Vorstellung geben, bevor sie würden essen können. Dann fiel Brid ein, die Kleiderkiste zu durchsuchen und alle Taschen umzudrehen. Und tatsächlich, in den Taschen von Clennens scharlachrotem Kostüm fand sich etwas Geld, und noch ein paar Münzen kullerten aus Kialans gutem alten Mantel, als sie ihn hochhob.
»Dürfen wir das nehmen? Wir zahlen es dir zurück«, sagte sie.
»Natürlich«, antwortete Kialan. »Ich hatte das Geld ganz vergessen.«
Als sie ein Dorf erreichten, hielt Dagner am Ortsrand und schickte Brid mit Moril einkaufen. Im letzten Moment rief er ihnen noch hinterher, dass sie auch Hafer für Olob brauchten. Die eiserne Regel lautete nämlich, dass zuallererst Hafer für Olob gekauft wurde – denn wo blieben sie, wenn ihr Pferd an Unterernährung einging? Leider war Hafer in dieser Jahreszeit teuer, und so kamen Brid und Moril missgelaunt mit Hafer zurück, einem Laib Brot, einer halben Kanne Milch, einer schwarzen Dauerwurst und einem Kohlkopf. Brid ahnte, dass Dagner mit allen Mitteln versuchen würde, eine Vorstellung zu umgehen, und darum wappnete sie sich für die Schlacht.
»Mehr können wir uns nicht leisten. Wenn wir morgen nicht auftreten, dann müssen wir verhungern«, verkündete sie, während sie den spärlichen Einkauf in den Wagen warf.
»Wir werden morgen auftreten«, sagte Dagner zu ihrer Überraschung. »Vater wollte in Niedertal auf jeden Fall eine Vorstellung geben, und ich glaube, morgen kommen wir dorthin. Hast du es gefunden?«, fragte er Kialan, der stirnrunzelnd über der Karte brütete. Es war keine besonders gute Karte. Clennen hatte Dalemark wie seine Westentasche gekannt; die Karte war eine Vorkehrung für den äußersten Notfall gewesen.
»Wenn das hier Cindow ist, dann liegt Niedertal ein gutes Stück nach Nordwesten«, sagte Kialan. »Ist es das wirklich wert? Von hier aus wäre es beinahe genauso leicht, durch die Marschen zu fahren.«
»Doch, ich muss dorthin. Und er sagte mir, wir würden dort Neuigkeiten erhalten«, entgegnete Dagner.
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