Jones, Diana Wynne
Moril überstimmen. Die beiden Jüngeren fühlten sich verloren. Sie waren an Clennens Art gewöhnt, ihnen freundlich, aber nachdrücklich vorzuschreiben, was sie zu tun hatten. Manchmal zeigten sie sich nun verärgert und manchmal waren sie geneigt, sehr albern zu werden. Nur der grimme Gedanke daran, dass ihre nächste Mahlzeit davon abhing, wie gut sie nun übten, bewahrte sie davor, in lauten Streit oder noch lauteres Gelächter auszubrechen. Moril stellte fest, dass er Clennen zum ersten Mal wirklich vermisste.
Doch während er noch daran dachte, erinnerte er sich, dass Dagner gesagt hatte, Clennen habe immer seinen Willen durchgesetzt. Hatte Clennen am Ende dafür gesorgt, dass sie alle ein wenig mehr von ihm abhingen als nötig? Vielleicht erschien es ihnen darum so schwierig, ohne ihn zurechtzukommen.
Während sie probten, streckte sich Kialan lang auf einem Felsen über ihnen aus, von wo er zuhörte und, wie Moril vermutete, auch Wache hielt. Allmählich begann diese übergroße Vorsicht Moril zu ärgern. Schließlich hatten er und Brid die Zeche zu zahlen, wenn Ganner sie fand, und nicht die Älteren. Am Morgen stellte er aufgebracht fest, dass die beiden auch die zweite Nacht durchwacht hatten. Sie wirkten hundemüde.
Auch Brid zürnte. »Wie willst du denn auftreten, Dagner, wenn du kaum die Augen offen halten kannst? So dumm bist du doch sonst nicht! Wir verlassen uns auf dich!«
»Schon gut«, brummte Dagner erschöpft. »Du lenkst, ich mache im Wagen ein Nickerchen. Aber weck mich, wenn … wenn…«
»Wenn was?«, fuhr Brid ihn an.
»Wenn etwas geschieht«, sagte Dagner und legte sich ächzend neben den Weinkrug. Kialan warf sich auf die andere Seite. Beide schliefen sie ein, noch bevor Olob sich in Bewegung gesetzt hatte.
Nun war es Brid und Moni überlassen, den Weg nach Niedertal zu finden. Sie schafften es sogar, halb mürrisch und halb stolz auf sich. Die Karte war keine große Hilfe. Sie mussten ihrer Nase folgen und bogen jedes Mal ab, wenn eine Straße nach Nordwesten zu führen schien; sie konnten nur das Beste hoffen. Einmal erreichten sie einen Bauernhof und mussten sich eilends umkehren; Hundegebell und das Gegacker von Huhn und Hahn verfolgte sie. Kialan und Dagner rührten sich nicht einmal. »Diese Trottel«, sagte Brid. Die beiden schliefen noch immer, als der Wagen auf einer Anhöhe ankam, von der aus man Niedertal überblickte.
»Wir haben es geschafft!«, rief Moni.
»Es sei denn, Olob wusste, wohin es ging«, entgegnete Brid, die gerecht sein wollte. »Aber ich glaube nicht, dass er auf diesem Weg schon einmal hierher gekommen ist.«
Niedertal war eine große, freundlich aussehende Stadt an der Hauptstraße zum Flinnpass. Sie lag in der Ebene, hinter der die Hochlande aufstiegen. Von der Anhöhe konnten Brid und Moril sogar noch über die höchsten Gebäude blicken, dorthin, wo die Südtäler sich in riesigen Treppenstufen zur Hochebene mit dem Markwald erhoben.
»Sagen wir vier Tage, und wir sind im Norden«, sagte Moril sehnsüchtig.
»Drei Tage«, sagte Brid sofort.
Die Balgerei auf dem Kutschbock, die darauf folgte, weckte schließlich Dagner und Kialan auf. »Was ist denn los? Was ist geschehen?«
»Nichts. Da ist Niedertal«, antworte Brid. Dagners verschlafenes Gesicht spannte sich auf der Stelle an und nahm eine Malvenfarbe an. Brid versuchte, ihn zu beruhigen. »Wir haben hier immer gut verdient«, sagte sie. »Hier muss es Hunderte von Leuten geben, die sich an uns erinnern und Vater kannten. Das Reden übernehme ich, ja? Ich erzähle ihnen von Vater und sage, wer wir sind – wenn sie es auch auf dem Wagen lesen können.«
»Wir sollten Dagners Namen auf den Wagen schreiben«, fügte Moril hinzu. Er glaubte zwar nicht, dass Brid Dagner in irgendeiner Weise beruhigte, aber er half ihr gern.
»Wie willst du seinen Namen auf diesen kleinen Wagen bekommen?«, rief Brid fröhlich. »Dastgandlen auf der einen Handagner auf der anderen, oder was?«
»Ist Niedertal nicht der Sitz von Graf Tholian?«, mischte sich Kialan taktlos in die geschwisterlichen Beschwichtigungsversuche ein.
»Nicht ganz. Sein Haus steht etwas außerhalb im Osten«, antwortete Dagner. Als er in die Richtung wies, zitterte seine Hand. Auf der anderen Seite Niedertals ließ sich unter Bäumen gerade noch ein großes weißes Gebäude erkennen.
»Verdammt, Kialan!«, rief Brid. Kialan blickte sie überrascht an. »Ach, nichts weiter«, sagte sie. »Aber wenn die Vorstellung schief geht,
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