Jones, Diana Wynne
so gut wie du«, antwortete Kialan, »aber … Kann ich mir mal eine Quidder ausborgen?«
»Nur zu«, sagte Brid.
Kialan nahm Dagners Quidder und stimmte sie, ohne dass man ihm einen Ton anschlagen musste. Brid und Moril tauschten einen Blick. Das konnte keiner von ihnen. Und kaum begann Kialan zu spielen, da wussten sie, dass sie es mit einem sehr begabten Menschen zu tun hatten, der nur lange nicht mehr geübt hatte. Wenn er nicht so gut sang wie er spielte, so lag es nur daran, dass er in dem Alter war, in dem die Stimme peinlich zwischen hoch und tief schwankt. Moril erinnerte sich lebhaft an den Verdruss, mit dem Dagner im gleichen Alter zu kämpfen gehabt hatte.
Kialan sang ein Lied über den Adon, eines, den Clennen niemals im Süden gesungen hätte.
»Die reine Wahrheit fesselst du nicht an eine Zeit
und einen Ort – «
»O-oh!«, unterbrach ihn Brid und sah sich ängstlich um.
»Niemand in der Nähe. Sei still«, sagte Moril.
Kialan sang diesen Teil genau der traditionellen Weise entsprechend. Dann aber blinzelte er Moril zu und verwandte eine ähnliche Fingertechnik wie Moril in Niedertal. Das Lied schien plötzlich lebendig zu werden.
»Die Wahrheit hält nicht still,
bewegt sich ständig fort,
es ist ein Recht, dass tief ihr innewohnt.
Die Hügel um mich lässt sie sein
mal größer als die Welt, mal wie eine Nuss so klein.
Die Wahrheit ist frei, oder sie kann nicht sein,
Nur Gesetze sind wie Stein,
und der Mensch ist ohne Wahrheit nichts.«
»O, das hat mir gefallen!«, sagte Moril.
»Ich habe Anleihen bei dir gemacht«, entschuldigte sich Kialan. »Ich mag den traditionellen Stil auch nicht besonders, und ich weiß nicht, weshalb Althergebrachtes unantastbar sein sollte. Meine Güte! Ich bin aber ganz schön außer Übung. Glaubt ihr, dass ich euch trotzdem helfen kann?«
»Ganz bestimmt, du alter Gauner«, sagte Brid. »Wenn du so gut bist, warum hast du dann vorher nichts gesagt? Vater hätte dich in die Vorstellungen eingebaut, dann hättest du nicht allein durch die vielen Dörfer laufen müssen.«
»Ja, das hätte er getan!«, rief Kialan bewegt. »Er hätte mich in ein scharlachrotes Kostüm gesteckt und zur Schau gestellt. Zuerst wollte ich gar nichts sagen, weil ihr mir alle so ausgezeichnet vorkamt, und als ich gesehen hatte, wie euer Vater war, wäre ich lieber gestorben, als ein Sterbenswörtchen zu verraten. Die Dörfer durchqueren zu müssen war schon beängstigend genug.«
Am Ende zog Olob den funkelnden Wagen still auf den Dorfanger, der nur eine Meile entfernt lag, und dann begannen drei zu singen und zu spielen. Moril und Kialan waren unsicher, Brid zeigte wie gewohnt das Selbstvertrauen einer Königin. Moril sang zwei von Dagners Liedern, hauptsächlich aber spielten sie Balladen, weil das Brids Stärke war und Kialans Stimme mit Schwierigerem nicht zurechtkam. Ein paar vereinzelte Dörfler hörten ihnen zu und applaudierten. Jemand rief nach einer Zugabe, und Brid sang den ›Kuh-Ruf‹. Sie erhielten ein wenig Geld, genug, um Eier, Milch und Butter zu kaufen. Eine Frau schenkte Brid einen Korb mit runzligen Äpfeln. Einen überwältigenden Erfolg feierten sie nicht gerade, aber sie fielen auch nicht durch.
»Wir können es schaffen!«, frohlockte Brid.
Moril lächelte und strich über die Quidder, während sie weiterfuhren. Immer wieder spielte er voller Ernst eine Melodie, und dann fiel Kialan auf Dagners Quidder ein. Der Grafensohn wurde immer geübter. Sie experimentierten und probierten Klangeffekte aus und neue Vertonungen. Moril hatte es selten so sehr genossen, Musik zu machen. Fast wünschte er, der Weg nach Hannart wäre doppelt so weit.
10.
Zu mittag gab es eine Art Käseomelett. Sie lagerten auf einem Flecken Grün zwischen zwei glucksenden Bächen. Kialan bestand darauf, dass sie Rühreier essen sollten, Brid widersprach ihm. Moril beteiligte sich nicht an dem Wortwechsel, denn er lauschte dem fließenden Wasser. Es ließ ihn an den Norden denken. Im Norden war das Geräusch fließenden Wassers allgegenwärtig. Träumerisch erwog er, ein Lied zu dichten, das dieses Murmeln einfing, als Brid ihn heftig rüttelte und zum Aufbruch mahnte.
»War das wirklich nötig?«, schalt Kialan sie.
»Warum nicht? Du weißt doch selber, wie ärgerlich es ist, wenn er in seine Träumereien versinkt«, entgegnete Brid.
»Ja, aber so ist er nun einmal«, sagte Kialan. »Dabei ist er aber sechsmal so wach wie die meisten Leute. Ich wette, er hat jedes Wort
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